Auf dem Land und doch in der Stadt – der Weiler Tobelhof befindet sich zwischen Zürich und Gockhausen an idyllischer Lage. Hier, umgeben von Wald und Wiesen, überrascht seit 2023 ein Wohnhaus besonderer Art. Ein altes Parkplatzschild verrät, was zuvor auf dem dreieckigen Grundstück stand: das Restaurant Roter Kamm, dessen lauschiger Garten natursuchende Städter anzog. Ganz in der Nähe liegt das Gasthaus Alter Tobelhof, ebenfalls ein beliebtes Ausflugsziel. Als sich Irma Peter, Gastgeberin in beiden Betrieben, 2022 aus der Gastronomie zurückzog, wurde die Idee geboren, ein Mehrfamilienhaus für den neuen Lebensabschnitt zu erstellen. «Ich habe mich gefragt, wie ich im Alter leben möchte», sagt Irma Peter. «Nicht alleine jedenfalls, aber auch nicht in einer Wohngemeinschaft». Ein Garten war in ihrer Vision ebenso zentral wie der Gedanke von Licht und Luft, zudem sollte Nachhaltigkeit eine grosse Rolle spielen.
Irma Peter wandte sich für ihr ambitioniertes Projekt «Haus im Garten» an den Zürcher Architekten Marc Loeliger. Es folgte eine intensive Auseinandersetzung mit neuen Wohnbedürfnissen und -formen zwischen der Bauherrin und dem Zürcher Büro Loeliger Strub. In drei Jahren Bauzeit entstand ein Haus mit zwei Gesichtern. Zur Tobelhofstrasse hin grenzt sich das dreigeschossige, lang gestreckte Gebäude bewusst ab. Sein Volumen orientiert sich an den einfachen Formen ländlicher Nutzbauten. Mit den versetzten Pultdächern fügt es sich nahtlos in die Umgebung ein und nimmt dabei Bezug zur denkmalgeschützten Scheune gegenüber. Aussenraum und Wohnhaus trennen eine überhohe Arkadenschicht. Der bepflanzte Laubengang dient im Erdgeschoss der Erschliessung der beiden Hauseingänge, in den oberen Etagen als schützender Filter zur stark befahrenen Strasse. Der Zugangsweg liegt etwas tiefer als die Wohnungen, was die Privatsphäre der Bewohner im Gartengeschoss wahrt und den natürlichen Geländeverlauf respektiert.
Luftig wohnen
Ganz anders zeigt sich das Gebäude auf der Rückseite: Südseitig öffnet es sich mit einer weit auskragenden grosszügigen Verandaschicht zum Gemeinschaftsgarten. Drei skulpturale Beton-Treppen mit ihren verspielten Geländern, die an die Bäderarchitektur der 1920er-Jahre denken lassen, verbinden jede der 14 Wohnungen direkt mit dem Grün. «Jede Pflanze ist essbar», betont Irma Peter. Dafür verwandelte Landschaftsarchitekt Matthias Brück den sanft abfallenden Hang in einen üppigen, duftenden Traum aus Kräutern, Obst, Beeren und Gemüse. Ein mächtiger Kastanienbaum spendet dem gemeinschaftlichen Grillplatz Schatten. Wer lieber ganz für sich die holzbeplankte Veranda geniessen mag, schafft sich dank blau-weiss gestreifter Vorhänge, die sich an Schienen einfach zu- und aufziehen lassen, einen Rückzugsort.
Ein filigranes Tragwerk aus vorfabrizierten Wandscheiben, seitlich angehängten Unterzügen und dünnen Deckenelementen bildet das strukturelle und räumliche Gerüst des Gebäudes. Ortbeton wurde gezielt dort eingesetzt, wo er seine Stärken ausspielen kann – für die aussteifenden raumhaltigen Wände an den Gebäudeenden, die luftigen Treppenhäuser, die Gartentreppen und die nordseitigen Balkon-Kanzeln mit weitem Ausblick über das Glatttal, welche die Bewohner Storchennest nennen. Die Fassade zur Strasse hin besteht aus Holz, was dem Gebäude eine warme und einladende Optik verleiht. «Mir war der Einsatz der beiden Baustoffe Holz und Beton wichtig», erklärt Irma Peter. In die flexible Struktur sind vierzehn Wohnungen unterschiedlicher Grösse eingepasst. Türen gibt es nicht, die Räume können mit Schiebewänden und raumhohen Klapptüren an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Bewohner angepasst werden. So ist ein loftartiges Wohnen im Raumkontinuum ebenso möglich wie ein konventionelleres Wohnen mit abgetrennten Zimmern. Die Schiebewände mit Holzrahmen und weisser Raufasertapete erinnern an Shoji, die traditionellen Trennwände in japanischen Häusern. Der fliessende Raum als Gestaltungsprinzip zeigt sich wohl am besten in der grossen Wohnung am nordseitigen Ende des Hauses. Entlang der Fensterbänder zur Strasse hin offenbaren sich verschiedene Nutzungen: Ein durchgehendes Einbaumöbel beginnt als Küchenzeile, geht in eine Kommode über und endet im Badezimmer mit integrierter Badewanne. Ein drehbarer verspiegelter Flügel schliesst das Bad auf Wunsch ab und sorgt für zusätzliche Raumtiefe. Unerwartet Farbe ins Spiel bringen die Boxen mit Gäste-WCs und Dusche – sie warten in Dunkelblau, Olive Vert und Terrakotta auf. In Kombination mit den sichtbaren Bauteilen in Beton erzeugen die rohen sowie farbig gestrichenen Einbauten in Holz eine heitere Wohnatmosphäre.
Mit viel Liebe zum Detail
Als Gelenk zwischen den privaten Wohneinheiten dient ein mittig angelegter Gemeinschaftsbereich im Erdgeschoss, der auch die beiden Treppenhäuser zusammenbindet. Der grosszügige Raum steht allen Bewohnern zur Verfügung und lädt mit einer Küche, einem Essbereich mit einem grossen Tisch, einer Lounge mit einem Kamin und einem Waschsalon zum Austausch ein. «Hier kann man sich zum gemütlichen Kaffee treffen, zusammen kochen oder auch Gäste an die Tafel einladen. Manche nutzen den Raum wie einen Co-Working-Space», sagt Irma Peter. Die tragende Betonsäule in der Mitte ist in ihrer Rhomben-Form ebenso expressiv wie der facettierte Beton-Thekentisch. Die Liebe zum Detail ist überall spürbar, im strahlenförmig verlegten Parkettboden oder in dem von zwei Messingflächen gerahmten Cheminée. Man spürt, Irma Peter hat sich hier einen kleinen Traum geschaffen, den sie gerne mit Gleichgesinnten teilt.
«Mir war der Einsatz der beiden Baustoffe Holz und Beton wichtig.»