Natur

Wilder Supermarkt im Garten

Unkraut hat einen schlechten Ruf – zu Unrecht. Denn Unkraut ist nicht nur essbar, sondern kann auch Heilwirkung haben. Die gelernte Wildpflanzen- und Heilpflanzenfachfrau Jasmin Ursprung weiss das für sich zu nutzen.

Bald hält der Frühling Einzug und bringt die ersten warmen Tage mit sich; der Schnee schmilzt, der Garten grünt. In jeder Ecke spriesst es: dort die ersten Osterglocken, hier die im letzten Herbst gesetzten Narzissen. Eine wahre Freude für jeden Pflanzenliebhaber. Doch gleichzeitig ist da auch das Wissen um das ebenfalls stark gedeihende Unkraut, das ein wenig die Freude trübt. Denn das stundenlange Jäten des Unkrauts ist eine Sisyphusarbeit – fertig wird man damit nie. Und so decken sich Hobbygärtner mit Unkrautvertilger und Gartengeräten ein, um dem wilden und ungewollten Gartenbesetzer Meister zu werden. Im Frühling sind die Gartenbesitzer noch voller Enthusiasmus und Tatendrang, doch irgendwann im Sommer macht sich die Erkenntnis breit, dass das Unkraut einfach zu stark und lebenswillig ist. Vielleicht greift dann der eine oder andere zu noch stärkeren Mitteln, mäht den Rasen jeden zweiten Tag statt nur einmal die Woche oder holt sich einen Gärtner zu Hilfe.

Ich habe gelernt, meinen Garten so zu geniessen, wie er ist. Zugegeben, auch ich greife in der einen oder anderen Ecke ein, um eine gepflanzte Blume zum Gedeihen zu bringen und vor Überwucherung zu schützen. Aber ansonsten lasse ich wachsen, was wächst. Und dazu gehört eben auch das Unkraut, oder wie ich es gerne nenne: die Wildpflanzen. Daher sieht mein Garten etwas verwildert aus. Als gelernte Wildpflanzen- und Heilpflanzenfachfrau weiss ich, dass die meisten Wildpflanzen essbar sind und sogar Heilwirkungen haben können. Deshalb ist es auch schade, dieses kostbare Gut einfach auf den Kompost zu werfen.

Frisch vom Garten auf den Teller

Zu den ersten Pflanzen im Frühjahr gehört zum Beispiel das Scharbockskraut, auch Feigwurz genannt (Ranunculus ficaria). Es ist dieses fiese, kleine Pflänzchen, das sich im Frühling rasch den ganzen Garten zu eigen macht. Die noch ganz jungen, glänzend grünen Blätter sollen noch vor der Blüte geerntet werden. Sie enthalten viel Vitamin C und wurden früher zur Vorbeugung von Skorbut eingenommen. Aber Achtung: Wenn die gelbe, sternförmige Blüte sich entwickelt, ist es bereits zu spät, und das Verzehren der Blätter wird die Schleimhäute reizen und Bauchschmerzen verursachen. Denn das Scharbockskraut gehört zur Pflanzenfamilie der Hahnenfussgewächse, und diese sind giftig.

Weiter gehören im Frühling verschiedene Ehrenpreisarten (z. B. Veronica beccabunga oder Veronica persica), Gänseblümchen, auch Massliebchen (Bellis perennis) genannt, und der gewöhnliche Dost (Origanum vulgare) zu den Vorreitern. Alle sind essbar und peppen optisch jeden Salat und jedes Butterbrot auf. Die Blütenknospen des Gänseblümchens können als Kapernersatz in Essig eingelegt werden. Zum Raclette ein absoluter Geheimtipp. Der gewöhnliche Dost, ich nenne ihn auch gerne Pizzakraut, riecht und schmeckt mit seinen ätherischen Ölen vorzüglich. Sehr ähnlich wie der Oregano, aber eben ein wenig wilder. Die Ehrenpreisarten und das Gänseblümchen sind selbst im Winter anzutreffen. Sie samen ab und gedeihen ohne Ruhezeit wieder. Wenn also kein Schnee liegt, kann auch im Winter auf der Wiese ein Wildsalat zusammengestellt werden. Nicht umsonst bedeutet der lateinische Name des Gänseblümchens «ausdauernd hübsch».

Wilder Nüsslisalat

Wer ganz genau hinschaut, findet vielleicht sogar Feldsalat (Valerianella locusta) – auch bekannt unter dem Namen Rapunzel. Er ist die wilde Form des Nüsslisalats und im Herbst wie auch im Frühling anzutreffen. Er ist klein und fällt mit seinen feinen, weissen Blüten wenig auf. Deshalb sind bei der Suche im Garten ein gutes Auge und fokussierte Aufmerksamkeit gefragt. Der Feldsalat mag zwar optisch unscheinbar sein, er weist aber eine höhere Konzentration an Vitaminen und Mineralstoffen auf als der Nüsslisalat aus dem Supermarkt.

Die jungen Blätter der gewöhnlichen Schafgarbe (Achillea millefolium) können gut in Dipsaucen verwendet werden. Die enthaltenen Bitterstoffe fördern die Gallensekretion und helfen bei Verdauungsproblemen. Im Sommer, wenn sie blüht, werden die Blüten gesammelt und zu Tee oder Tinkturen verarbeitet. Sie helfen bei Appetitlosigkeit, krampfartigen oder entzündlichen Magenstörungen und wirken entzündungshemmend bei Haut- und Schleimhauterkrankungen. Die Volksheilkunde empfiehlt sie auch bei Frauenbeschwerden. Selbstverständlich sind die Blüten auch schmackhaft im Salat und bieten eine wunderbare Dekoration auf jedem Teller.

Die Folge meines Perspektivenwechsels in Bezug auf den Garten ist, dass ich mich über die Wildpflanzen erfreue, weniger Arbeit mit Unkraut jäten habe und mich dazu gesund ernähre. Was will man als Hobbygärtnerin noch mehr?

Vorsicht – nicht alles ist essbar

Wer nun selbst Wildpflanzen ernten und in der Küche verarbeiten möchte, der sei gewarnt: Es sollen nur diejenigen Pflanzen verwendet werden, die mit absoluter Sicherheit benannt werden können. Denn Verwechslungen mit giftigen Artgenossen sind nicht ausgeschlossen. Jasmin Ursprung

Natürlich Ursprünglich

Jasmin Ursprung bietet Workshops und Exkursionen an, bei denen sie ihr Wissen über essbare und heilende Wildpflanzen im Garten weitergibt. Auf Wunsch organisiert sie auch massgeschneiderte Gartenpartys mit Wildpflanzenkunde.

 

Für Fragen oder weitere Informationen: naturspruenglich.ch