Er schillert in Rotbraun, Gelb und Blau – in unseren Breiten wirkt der Bienenfresser (Merops apiaster) ein wenig unwirklich. Kein Wunder. Er ist der einzige Vertreter seiner Familie in Europa. Alle anderen leben in den Tropen und Subtropen. Früher konnte man den Bienenfresser mit seiner kanariengelben Kehle nur selten und unregelmässig bei uns beobachten. Hauptsächlich wenn er im Frühjahr durch schlechtes Wetter ausgebremst und zur Rast gezwungen wurde auf seinem 5000 Kilometer langen Zug von den Überwinterungsgebieten in den Savannen Senegals, Ghana, Kenia oder Südafrika zu den Brutgebieten im Mittelmeerraum. Durch den Klimawandel ist es ihm längst auch an einigen Orten in der Schweiz warm und trocken genug. Seit 1990 brütet er bei uns.
160 Vogelarten im Wallis
Im Wallis zum Beispiel ist ihm besonders wohl. Im Leukerfeld gibt es Kolonien, die man im Rahmen einer ornithologischen Exkursion besuchen kann. Armin Mathieu vom Naturpark Pfyn-Finges führt uns. «Hier sind wir an einem Hotspot für Ornithologen», sagt er, während er an diesem sonnigen Tag dem Teerweg durch die Wiesen folgt. «Von den etwa 200 Vogelarten, die in der Schweiz brüten, leben 160 auch im Wallis. Man wird hier immer irgendwo einem Vogelfreund begegnen, der mit Feldstecher oder Teleobjektiv unterwegs zu einem Beobachtungsposten ist.»
Uns interessiert heute nur der Bienenfresser, dieser tropisch anmutende Vogel, der so lang wie ein Unterarm ist und eine Spannweite von einem halben Meter hat. Sein Flugstil erinnert an den der Mehlschwalbe. Er fängt geschickt grosse Insekten im Flug. Ihm schmecken unter anderem Schmetterlinge, Käfer und Libellen. «Tatsächlich waren fast ausnahmslos alle begeistert, als der Bienenfresser sich hier angesiedelt hat, inklusive der Landwirte. Nur die Imker nicht. Und die gibt es im Wallis in jedem Dorf», erzählt Mathieu. «Sie haben schon ein wenig Recht – wenn der Vogel gar nichts anderes findet, geht er sich auch mal an den Bienenstöcken umschauen. Das haben die Welschen besser gelöst – da heisst er Guêpier, Wespenfresser. Wenn er die frisst, stört es niemanden.»
Stacheltechnik
Egal ob Biene, Wespe, Hornisse oder Hummel – Bienenfresser haben ihre ganz eigene Technik, um nicht mit deren Stachel in Berührung zu geraten. «Sie halten das Insekt am Kopf und streifen dessen Hinterteil so lange an Pflanzen, bis der Stachel abfällt», erklärt Mathieu weiter.
Der Ort, an den er uns so zielstrebig führt, wirkt auf den ersten Blick nicht gerade ideal. Zwischen Autobahn und Golfplatz, von der Rhone, die dieses Tal geschaffen hat, ist weit und breit nichts zu sehen. Andererseits sind viele der Flächen, durch die wir gerade unterwegs sind, Ausgleichsmassnahmen für den Autobahnbau. Magerwiesen, Büsche, und zahlreiche Teiche, die einst alte Arme der Rhone waren. «Auf den Bergen gleich jenseits der Autobahn haben wir in der Felsensteppe das grösste Vorkommen des Perückenstrauchs in der Schweiz. Wenn er sich im Herbst rot färbt, sieht das gewaltig aus», erzählt Mathieu im Gehen.
Teleobjektive in allen Grössen
Als wir um eine Biegung gehen, zeigt sich, wohin er so zielstrebig unterwegs ist. In der Ferne wird auf einem Hügel eine Sichtschutzwand sichtbar, an der schon mehrere Fotografen mit Teleobjektiven am perfekten Schnappschuss arbeiten. Vermutlich seit Stunden. Als wir ein freies Guckloch erobert haben, fällt der Blick sofort auf die Nisthöhlen der Bienenfresser, die sie am Ufer eines Teichs in eine Steilwand gegraben haben. Die Vögel hacken sie mit kräftigen Schnabelhieben ins Erdreich. Sobald ein ausreichend grosses Loch entstanden ist, scharren sie den Sand mit den Füssen aus der Röhre. Am Schluss ist sie bis zu eineinhalb Metern tief und endet in der Brutkammer. Die Bauarbeiten können bis zu zehn Tagen dauern.
Das Rhonetal hoch
Der Bienenfresser brütet gern in Tieflagen bis 800 Metern. Die Schweizer Hauptkolonien befinden sich in Penthaz VD und eben hier in Leuk VS. Bei den Walliser Bienenfressern geht man davon aus, dass sie von Frankreich her das Rhonetal hochgezogen kamen und geblieben sind, weil ihnen die warmen, trockenen Walliser Sommer behagten.
Nur vereinzelt findet man Bruten in bis zu 1250 Metern Höhe. Gern brüten die bunten Vögel auch in Kiesgruben, Wiesen-Weiden-Habitaten mit Anrissen oder an Steilufern von Gewässern. Sie sind erstaunlich störungsunempfindlich. Es gibt Berichte über Bienenfresserkolonien in Sandhaufen von Baustellen, bei denen sich die Vögel auch von den umherfahrenden Baggern nicht gross stören liessen. Hauptsache niemand macht sich an ihrer Brutwand zu schaffen. Hier an ihrer Steilwand in hörbarer Nähe der Autobahn lassen sie sich jedenfalls nicht beim Brutgeschäft stören.
Immer wieder lässt sich ein Vogel auf den kahlen Ästen in der Nähe der Sichtschutzwand nieder. Sofort beginnt jeweils ein halbes Dutzend Fotoapparate zu klicken, und die Speicherkarten füllen sich, während der in der Sonne schillernde Vogel von seiner Warte aus in aller Ruhe nach Beute späht. «Die Äste hat man extra auf dieser Uferseite aufgestellt, damit die Fotografen Freude haben», räumt Mathieu schmunzelnd ein. Und die haben sie. Man hört es am eifrigen Klicken der Apparate, sobald sich ein Vogel nah genug niederlässt.
Süditalien statt Sahara
Der Klimawandel sorgt bei den Bienenfressern übrigens für ein ähnliches Phänomen wie bei den Störchen. Ein Grossteil der Schweizer Störche zieht gar nicht mehr und überwintert in der Schweiz oder in Südeuropa. «Die Bienenfresser ziehen ab August in die Wärme. Zunehmend sparen sie sich jedoch den kräftezehrenden Zug in die Sahara und fliegen nur noch bis Süditalien», weiss Mathieu.
Wer es nicht zur Exkursion ins Naturschutzgebiet Leukerfeld schafft, der kann auch andere Regionen ansteuern. 90 Prozent der Bruten wurden in den südwestlichen Kantonen Genf, Waadt und Wallis registriert. Auch der Neuenburgersee und Schaffhausen haben brütende Bienenfresser.
Bienenfresser beobachten im Naturpark Pfyn-Finges
Bienenfresser gehören zu den beliebtesten und dankbarsten Beobachtungsobjekten im Leukerfeld. Sie lassen sich dort aus kurzer Distanz an ihren selbst gegrabenen Bruthöhlen am Steilhangbeobachten. Bei idealen Beobachtungsbedingungen hört man sogar das Schnabelschnappen, wenn ihnen ihre Beute für einmal knapp entwischen konnte. Führungen finden von Ende April bis Juni während der Brut statt. Man kann die Bienenfresser aber auch danach noch bis etwa 20. August auf eigene Faust im Leukerfeld beobachten.
Weitere Infos und Auskünfte erhalten Sie unter: pfyn-finges.ch