Fassadenbegrünung

Gärten in luftiger Höhe

Vogelwelt Dach- und Fassadenbegrünungen können für Vögel und andere Kleintiere den Lebensraum erweitern. Sie helfen zudem, dem Klimawandel in Städten zu begegnen und die Lebensqualität für uns Menschen zu erhöhen, indem sie zur Kühlung beitragen.

von Martina Schybli

Dr. med. vet., Schweizerische Vogelwarte Sempach

von Petra Horch

dipl. Landschaftsarchitektin FH

Die Spatzen pfeifen es schon lange von den Dächern: Der Klimawandel führt in der Schweiz zu höheren Durchschnittstemperaturen, was in Städten deutlich stärker spürbar ist als in deren Umland. Weniger bekannt ist hingegen, dass gegen den sommerlichen Backofen in Siedlungen durchaus ein Kraut gewachsen wäre: Grünflächen in Form von Gärten und Parks, aber auch Dach- und Fassadenbegrünungen können das Stadtklima deutlich verbessern. Denn Pflanzen schaffen Kühlung, indem sie Wasser verdunsten und die Sonneneinstrahlung auf Gebäude und Asphalt reduzieren. Zudem filtern sie Staub und schlucken Schall.

Verglichen mit Gärten oder Parks sind begrünte Fassaden und Dächer deutlich platzsparender, was der aktuell laufenden Verdichtung entgegenkommt. Für manche Vögel, Fledermäuse, Insekten und andere flugfähige oder kletterbegabte Tiere stellen die Grünflächen in luftiger Höhe zusätzlichen Lebensraum dar. Bodenlebende Tierarten wie Igel, Blindschleichen oder Bergmolche bleiben allerdings aussen vor. Die Wirkung für die Biodiversitätsförderung ist bei Dach- und Fassadenbegrünungen daher geringer als bei naturnahen Gärten oder Grünarealen am Boden. Als Trittsteine zwischen solchen Lebensrauminseln sind sie aber auch für die Biodiversität von Bedeutung.

Dachbegrünungen – gewusst wie

Wer eine Dachbegrünung realisieren möchte, tut gut daran, sich Gedanken zu deren Aufbau zu machen. Ein vollwertiger Bodenaufbau mit mindestens 20cm Substratdicke (sogenannt intensive Begrünung) bewirkt eine effizientere Kühlung als ein dünner Untergrund mit nur 10cm Substratdicke (extensive Begrünung). Denn es können mehr Pflanzenarten gesetzt werden – ab über 50cm sogar Strauch- und kleinere Baumarten – was den weiteren Vorteil hat, dass der «Dachgarten» für mehr Tierarten attraktiv wird. Allerdings muss das Dach das zusätzliche Gewicht durch Substrat, Pflanzen und gespeichertes Wasser auch tragen können, weswegen man intensive Begrünungen meist nicht nachträglich anlegen kann. Weiter muss das Dach für die Pflegemassnahmen gut begehbar sein.

Bei einer extensiven Begrünung hingegen gedeihen aufgrund der geringen Substratdicke nur wenige und niedrig wachsende Pflanzenarten wie zum Beispiel Mauerpfeffer oder Hauswurz. Folglich benötigt diese Begrünungsform nur sehr wenig Pflege, kühlt aber weniger effizient und trägt deutlich weniger zur Förderung der Biodiversität bei.

Wer das Maximum punkto Biodiversitätsförderung herausholen möchte, wählt eine intensive Begrünung und verteilt das Substrat nicht gleichmässig auf der Fläche, sondern schafft substratärmere Stellen sowie Bereiche mit einer höheren Substratdicke. Neben einer Vielfalt an einheimischen, wärmetoleranten Pflanzen legt man sogenannte Kleinstrukturen wie flache Wasserstellen, Sandflächen, Steinhaufen und Totholz (sturmfest!) an. Diese dienen Vögeln und Insekten als Nahrung, Witterungsschutz oder Brutstätten.

Dabei gibt es allerdings auch Grenzen: Begrünte Dächer, die mehr als 30m über Boden liegen, werden nur noch von sehr wenigen Arten angeflogen, ausser die Fassaden sind ebenfalls begrünt oder begrünte Balkone bieten sich als Trittsteine in der Vertikalen an.

Dachbegrünungen und Solaranlagen müssen sich übrigens nicht ausschliessen, im Gegenteil: Eine Begrünung reduziert die Hitze auf dem Dach, sodass die Anlage effizienter läuft. Anlage, Substratdicke, Bepflanzung und Unterhaltskonzept sollten jedoch sorgfältig geplant werden, um eine Beschattung der Panels zu vermeiden.

Vertikale Gärten

Bei Fassadenbegrünungen unterscheidet man zwischen bodengebundenen und wandgebundenen Begrünungen. Bei Ersterer wurzeln die Pflanzen direkt im Boden, wobei die Pflanzgrube mindestens einen Kubikmeter gross und mit dem Unterboden verzahnt sein sollte. Zwecks Förderung der Biodiversität empfiehlt es sich, einheimische Kletterpflanzen zu wählen. Efeu Hedera helix eignet sich für halbschattige oder schattige Standorte an verputzfreien Mauern. Wichtig ist, dass man die Wildform wählt, die Blüten und Beeren ausbildet. Mit seiner Blüte im Herbst ist Efeu eine der letzten Nahrungspflanzen für Wildbienen. Die Früchte werden zwischen Januar und April reif und sind für viele zurückkehrende Zugvögel eine wichtige Nahrungsquelle. Efeu hat zudem den Vorteil, dass er sich selbst an der Wand festhalten kann. Alle übrigen einheimischen Kletterpflanzen wie Waldrebe Clematis vitalba, Weinrebe Vitis vinifera oder Hopfen Humulus lupulus brauchen eine Kletterhilfe.

Im Gegensatz zur bodengebundenen Begrünung werden wand- oder fassadengebundene Begrünungen in Töpfen oder Trögen wie eine zweite Haut ums Gebäude vorgelagert errichtet. Oft werden bei diesen Systemen Pflanzenarten aus Ostasien oder Amerika verwendet, ihr Nutzen für die Biodiversität ist daher gering. Gewisse Arten wie Kiwi Actinidia deliciosa, Henrys Geissblatt Lonicera henryi oder die Gewöhnliche Jungfernrebe Parthenocissus inserta sind zudem invasiv und sollen nicht mehr verwendet werden.

Vorsicht ist ferner geboten bei Gebäudefassaden aus Glas. Glasscheiben bergen für Vögel ein grosses Kollisionsrisiko und fordern in der Schweiz jährlich mehrere Millionen gefiederte Todesopfer. Fassadenbegrünungen können sich in Glasscheiben spiegeln, wodurch dem Vogel ein weiteres Gehölz vorgegaukelt wird. Aus diesem Grund sollte bei Glasfassaden besser auf Begrünungen verzichtet werden.

Naturoasen auf dem Balkon

Nicht immer besteht die Möglichkeit, Dach- oder Fassadenbegrünungen anzubringen. Doch auch Balkone und Terrassen können zu kleinen Naturoasen werden und ein attraktives Blütenangebot für (Wild-)Bienen und weitere Insekten schaffen. Kletterpflanzen wie Waldrebe (Wurzelbereich mit einer Staude beschatten), Garten-Geissblatt Lonicera periclymenum oder Hopfen gedeihen auch in grossen Töpfen oder Pflanztrögen. Mittels Kletterhilfen können sie am Rand des Balkons – ähnlich einem grünen Vorhang – entlanggezogen werden und spenden so Schatten und Sichtschutz.

Für Balkonkistchen und Töpfe mit ein- bis zweijähriger Bepflanzung eignen sich Wildstauden wie Stein-Quendel Acinos alpinum, Acker-Ringelblume Calendula arvensis, Wiesen-Glockenblume Campanula patula oder Wilde Möhre Daucus carota. Soll die Pflanzung mehrjährig sein, so bieten sich verschiedene Kräuter an, die hitze- und windtolerant sind. Dazu zählen etwa Feld-Thymian Thymus pulegioides, Echte Kamille Matricaria chamomilla, Heil-Ziest Stachys officinalis und Echter Dost Origanum vulgare. Auch eine im Balkontrog ausgesäte Wildpflanzenmischung mit Wiesenmargerite Leucanthemum vulgare, Rapunzel-Glockenblume Campanula rapunculus, Wiesenflockenblume Centaurea jacea und Wundklee Anthyllus vulneraria lockt Bestäuber an.