Tiere

Erstaunliche Elster

Vögel Beim Thema Elster wird es oft emotional: Während sie mancherorts hingebungsvoll mit Futter versorgt wird, ist sie andernorts «Pica non grata» und soll als Nesträuberin dezimiert werden. Porträt eines missverstandenen Vogels.

Die Elster kennt praktisch jeder. Anhand ihres schwarzweissen Gefieders und der langen Schwanzfedern ist sie einfach zu bestimmen und verglichen mit manch flinken oder versteckt lebenden Kleinvögeln leicht zu entdecken. So entsteht schnell der Eindruck, es gäbe zu viele, und sie verdränge die Kleinvögel. Doch stimmt das auch?

Ein hartnäckiger Mythos

Dass die Elster Nester ausnehmen kann, ist nicht von der Hand zu weisen. Sie als Ursache für einen Rückgang von Kleinvögeln verantwortlich zu machen, ist allerdings nicht korrekt. Die Bestände der meisten typischen Gartenvögel sind schweizweit nämlich stabil oder nehmen sogar zu. Über grössere Siedlungsgebiete betrachtet konnte noch nie ein durch die Elster verursachter Bestandsrückgang bei Kleinvögeln festgestellt werden.

Die Elster ist ein Allesfresser und nutzt jene Nahrung am stärksten, die gerade am einfachsten verfügbar ist: Altvögel fressen im Herbst und Winter vor allem Früchte, Sämereien, Aas und Abfälle, vom Spätwinter bis in den Sommer hinein dominiert proteinreiche Nahrung, hauptsächlich Regenwürmer und Insekten. Wirbeltiere inklusive Nestlinge sowie Vogeleier werden ebenfalls erbeutet, spielen auf dem Speiseplan der Altvögel aber insgesamt nur eine geringe Rolle. Jungvögel hingegen müssen für einen guten Start ins Leben mit proteinreicher Nahrung versorgt werden, genau wie dies übrigens auch bei Meisen oder Sperlingen der Fall ist. Wenn jedoch eine Elster für ihren Nachwuchs Eier oder Jungvögel erbeutet, wird das anders beurteilt als bei einer Kohlmeise, die eine Raupe an ihre Nestlinge verfüttert. Dass junge Elstern zudem grösstenteils wirbellose Tiere wie Käferlarven, Regenwürmer oder Schnecken erhalten, wird oft ausser Acht gelassen.

Bereits im Frühsommer lässt der Druck der Elster beträchtlich nach, da sie nur eine Brut pro Jahr aufzieht. Da die meisten Kleinvögel mehr als einmal im Jahr brüten, können sie Brutverluste bis in den Juli hinein durch Ersatzgelege ausgleichen.

Natürliche Regulationsmechanismen

Bei der Elster gibt es zwei «Gesellschaftsklassen»: Brutpaare und Nichtbrüter. Brutpaare gab es nach Schätzungen für den Brutvogelatlas zwischen den Jahren 2013 und 2016 etwa 35 000 bis 40 000. Sie besetzen praktisch ganzjährig ein Revier und verteidigen dieses gegenüber Artgenossen.

Nichtbrüter hingegen streifen in kleinen Gruppen herum. Diese bestehen aus Vögeln, die zum Brüten noch zu jung sind, solchen, die noch keinen Brutpartner gefunden haben, und verpaarten Vögeln, die noch kein eigenes Territorium besetzen konnten. Die Nichtbrüter stellen einen «Reservepool» dar: Fällt ein Brutpaar weg, wird dieses schnell durch geschlechtsreife Elstern aus einem Nichtbrütertrupp ersetzt.

Nichtbrüter üben zudem Druck auf Brutpaare aus: Hat es in einem Gebiet viele Nichtbrüter, so muss das Brutpaar mehr Energie in die Verteidigung des Reviers investieren, wodurch der Bruterfolg geringer sein dürfte. Hat es hingegen weniger Nichtbrüter, weil diese beispielsweise bejagt werden, muss das Brutpaar sein Revier weniger stark verteidigen. Es kann sich folglich besser um die Jungen kümmern, wodurch deren Überlebenschancen steigen.

Der Bestand der Elster ist also arteigenen Regulationsmechanismen unterworfen. Dazu kommt, dass auch die Elster Feinde hat: Rabenkrähe oder Baummarder fressen Eier und Nestlinge, Habicht und Rotfuchs können auch Alt- und Jungvögel erbeuten.

Intelligenzbestien

Rabenvögel, zu denen auch die Elster zählt, rücken zunehmend in den Fokus der Kognitionsforschung. Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass sie ebenso wie Menschenaffen, Elefanten oder Delfine zu intelligenten Leistungen fähig sind. Beispielsweise scheinen manche Elstern in der Lage zu sein, sich selbst in einem Spiegel zu erkennen.

Weiter gibt es Hinweise darauf, dass Elstern und Krähen Menschen individuell erkennen können. Sie dürften sich daher auch Jäger und Jägerinnen oder deren Fahrzeuge merken und rechtzeitig das Weite suchen.

Auch im Hinblick auf Vergrämungsmassnahmen stellt die Cleverness der Elster eine Herausforderung dar. Wer sich an Elstern stört und diese vertreiben möchte, muss ihr stets eine Schnabellänge voraus sein. Baumelnde CDs, Plastikbänder oder Knallgeräusche durchschauen die Intelligenzbestien nämlich meist schnell. In der Regel lohnt sich der Aufwand nicht, sich alle paar Tage etwas Neues auszudenken. Zumal im Siedlungsraum eher das Risiko besteht, dass die genervten Nachbarn aufmarschieren, als dass die Elster das Feld räumt.

Pica non grata

Wie unbeliebt die Elster (lateinisch Pica pica) mancherorts ist, zeigt sich darin, dass bei vermeintlichen Problemen schnell der Ruf nach Abschüssen aufkommt. Aufgrund der oben erwähnten natürlichen Regulationsmechanismen ist eine Bejagung zur «Kontrolle» des Bestands allerdings nicht zielführend. Dies zeigt sich auch darin, dass in den letzten 20 Jahren pro Jahr durchschnittlich über 1600 Individuen abgeschossen wurden, ohne dass der Bestand zurückgegangen wäre.

Meist lassen sich Bedenken zerstreuen, wenn man die Lebensweise der Vögel kennt und einfache Massnahmen umsetzt. Ein Zudecken des Kompostes oder ein Fütterungsverzicht kann beispielsweise helfen, Elstern nicht zusätzlich anzulocken.

Sorgt man sich, dass Kleinvögel dem Garten fernbleiben, lohnt sich ein kritischer Blick auf die Qualität dieses Lebensraums. Sterile Schottergärten sowie Gärten, die praktisch nur exotische Pflanzen enthalten, sind für Vögel nämlich wenig attraktiv. Das beste Rezept, um Kleinvögel anzulocken, sind einheimische Wildpflanzen, die Nahrung und Deckung bieten. Besonders wertvoll sind dichte, dornentragende Sträucher, die für einen besseren Schutz der Brutpaare und ihrer Jungen sorgen.

Des einen Freud, des anderen Leid

Selbstverständlich gibt es auch Menschen, die sich an der Elster erfreuen oder sich um ihr Wohlergehen sorgen. In manchen Fällen werden die Vögel sogar mit Futter versorgt. Nötig ist dies allerdings nicht, denn die Elster ist äusserst anpassungsfähig und erfinderisch und findet selbstständig genügend Nahrung. Unter Umständen erweist man ihr sogar einen Bärendienst, denn Fütterungen führen dazu, dass die Elstern noch stärker wahrgenommen werden und negative Gefühle weiter geschürt werden. In Extremfällen können gefütterte Vögel zudem ihre natürliche Scheu ablegen und sogar aufdringlich werden. Es ist daher besser, auf eine Zufütterung zu verzichten.

Man könnte über die Elster noch vieles schreiben, was jedoch den Rahmen des Artikels sprengen würde. Eines ist sicher: Um die Elster kommt man nicht herum, und mit ihrer Anpassungsfähigkeit und ihrer Cleverness stellt sie uns manchmal vor Herausforderungen.

Gleichzeitig gibt der schwarzweisse Vogel Anlass, über den eigenen Schatten zu springen. Wer sich vertiefter mit ihr befasst, wird viel Spannendes entdecken. Langweilig wird es um sie herum jedenfalls nie.

Die Elster ist ein Allesfresser und nutzt jene Nahrung am stärksten, die gerade am einfachsten verfügbar ist.