Interview zum Thema Smart Living

«Convenience gewinnt immer»

Wohnen wir zukünftig alle in einem Smart Home? Diese und weitere Fragen zu Smart Living haben wir Stefan Breit, Researcher am Gottlieb Duttweiler Institut, gestellt. Seine Antworten zeigen: Es gibt auch einen Gegentrend.

Der Schweizerische Hauseigentümer: Herr Breit, wie würden Sie als Researcher für gesellschaftliche und technologische Veränderungen den Begriff «Smart Living» jemandem erklären, der noch nie davon gehört hat?

Stefan Breit: Bei Smart Living geht es um die Digitalisierung des Wohnens. Es geht um die Frage, wie bis anhin isolierte technische Geräte und Dienstleistungen Einzug in die vier Wände halten, wie sie gestaltet und miteinander vernetzt sind. Dazu gehört beispielsweise die Gleichschaltung der Heizung mit dem Bewegungsprofil der Bewohnerinnen und Bewohner oder das Überwachen der Haustür mittels Kamera: Wenn es klingelt, kann ich aus der Ferne – z.B. vom Büro aus – schauen, wer an der Tür ist und diese öffnen lassen.

Smart Living soll das Leben und Wohnen vereinfachen. Tut es das? Oder wird das Wohnen durch smarte Geräte komplizierter?

Wir alle stimmen mit der Aussage überein, dass der Einzug der Waschmaschine oder des Kühlschranks unsere Wohnqualität erhöht hat. Bei smarten Wohnungen konnte dieses Fazit allerdings noch nicht gänzlich gezogen werden. Es ist zwar bequem, wenn sich beispielsweise die Fenster automatisch öffnen und schliessen. Aber so aufwendig ist das Fensteröffnen auch nicht, als dass wir es nicht selbst tun könnten. Da ist noch vieles Spielerei, und die Neugier darüber, was technisch alles machbar ist, steht im Vordergrund. Ein Smart Home ist dort interessant, wo sich komplexe Abläufe automatisch im Hintergrund abspielen, z. B. in der Energiegewinnung und -nutzung oder der Mobilität.

Putzroboter machen den Wohnzimmerboden sauber, und draussen im Garten erledigen Bewässerungssysteme und Mähroboter die Arbeit. Warum wollen wir alltägliche Arbeiten nicht mehr selbst erledigen?

Der Mensch ist ein bequemes Wesen. Convenience gewinnt immer. Wenn es ein funktionierendes Gerät gibt, das uns den Boden sauber macht oder die Pflanzen giesst, dann werden wir längerfristig nicht darauf verzichten. Alltägliche Arbeiten erledigen die meisten von uns nicht gerne. Die Zeit, die wir durch den Einsatz smarter Produkte gewinnen, können wir für Dinge einsetzen, die wir lieber tun.

Werden wir in Zukunft alle in einem Smart Home wohnen? Oder gibt es einen Gegentrend?

Die Digitalisierung des Wohnens wird fortschreiten. Aber wir Menschen sind zu unterschiedlich, als dass wir künftig alle in einem Smart Home wohnen wollen würden. Wohnen verändert sich nämlich vor allem aufgrund gesellschaftlicher und nicht nur infolge technologischer Entwicklungen. So beobachten wir aktuell eine Ausdifferenzierung der Wohnformen, von Microapartments bis hin zu Gross-WGs, die unseren pluralistischen Lebensstilen gerecht werden. So betrachtet, steht dem digitalen Wohnen ein Bedürfnis nach Ländlichkeit, Gemütlichkeit und Entschleunigung gegenüber. Das sehen wir auch an der Popularität schöner Altbauwohnungen oder kleiner Tiny Häuser im Grünen.

In welcher Form nutzen Sie persönlich smarte Systeme zu Hause?

Mir fällt tatsächlich kein smartes System ein, das ich benutze. Das hat einerseits mit der alten Wohnung in der Stadt Zürich zu tun, in der ich zusammen mit einem Freund und einer Freundin wohne. Diese ist einfach nicht Smart-Home-tauglich, was exemplarisch für die Langsamkeit steht, mit der sich neue Wohnideen im Bestand durchsetzen. Hinzu kommt, dass meine Mitbewohner und ich zu dem vielleicht aussterbenden Typus gehören, der die Pflanzen gerne selber giesst, das Smartphone nicht zum Öffnen des Türschlosses braucht und mit der Zahnbürste auch nicht unbedingt ins Internet muss. 

Das Interview führte Yvonne Lemmer, Redaktion HEV Schweiz.

«Digitalem Wohnen steht ein Bedürfnis nach Ländlichkeit, Gemütlichkeit und Entschleunigung entgegen.»

Zur Person

Stefan Breit (32) ist Researcher am GDI Gottlieb Duttweiler Institut und analysiert gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Veränderungen mit Schwerpunkt Wohnen, Infrastruktur und Umwelt. Er ist Autor der GDI-Studie «Microliving – Urbanes Wohnen im 21. Jahrhundert», die kostenlos beim GDI heruntergeladen werden kann: gdi.ch/de/publikationen/studien-buecher/microliving

«Der Mensch ist ein bequemes Wesen.»