In der Kindheit war es so etwas wie ein Objekt der Begierde. Wenn die Nachbarin ihren schicken Servierwagen heranrollte und uns Tee oder Saft mit ihrem köstlichen Plumcake auftischte, war das wie Weihnachten und Ostern zugleich. Ihr rollendes Vehikel war kein Dinett, den man damals da und dort in einem Haushalt antraf, sondern das Modell 901 von Artek, entworfen vom finnischen Designer Alvar Aalto. So elegant und mondän, dass es schon uns Kinder nachhaltig beeindruckte. Eines war klar: Ein solches Stück wollten wir auch einmal besitzen.
Mittlerweile sind einige Jahrzehnte vergangen – und der Servierwagen weitgehend aus den Wohnstuben verschwunden. Zwischendurch tauchte er irgendwo als Retro-Objekt in Filmen oder TV-Serien, manchmal auch in Hotels auf. Aber damit hatte es sich dann auch schon getan. Und nun ist er plötzlich wieder da. Weshalb der alte Servierwagen, auch als Tee- oder Barwagen bekannt, gerade jetzt im Aufwind steht, ist schwierig zu erklären. War es die Pandemie, die uns den Rückzug in die eigenen vier Wände auferlegte? Oder das Bedürfnis nach mehr Mobilität innerhalb unseres Wohnraums?
Vorläufer aller mobilen Möbel
Auch wenn die Geburtsstunde dieses Möbels nicht genau bekannt ist und wohl irgendwo in den 1930er-Jahren liegen dürfte, kann man den Servierwagen durchaus als Vorläufer aller mobilen Möbel bezeichnen. Vor allem in den Nachkriegsjahren war er sehr populär, diente bis in die 1960er- und 1970er-Jahre der Mutter als Haushalthilfe und dem Vater als Butler. Die meisten waren doppelstöckig, manche hatten sogar noch mehr Etagen. Ein bewegliches Regal auf Rollen sozusagen, das nicht nur rechteckig daherkommt. Manche Modelle findet man auch in runder, ovaler oder quadratischer Form. Auch von den Materialien her gibt es eine grosse Auswahl – von Holz über Stahl und Chrom bis zu Glas.
Die alten Klassiker gibt es noch heute – und sie haben nichts von ihrer eleganten Ausstrahlung eingebüsst, wie etwa der 901 oder 900 von Artek. Seit 1965 hat auch USM Haller einen Servierwagen in seiner Kollektion, den man nicht nur in Büros antrifft. In den 1970er-Jahren entstanden ist das Modell Plico von Richard Sapper. Es mag überraschen, dass der deutsche Designer den Servierwagen für Alessi entworfen hat, für ein Unternehmen, das ansonsten für seine bunten, verspielten Küchenaccessoires bekannt ist. Der Plico ist nämlich sehr gradlinig und kompakt, lässt sich zudem praktisch zusammenklappen und ist deshalb nach wie vor ein beliebtes Modell. Ebenfalls zusammenklappbar ist das Modell Gastone von Antonio Citterio und Glen Oliver Löw für Kartell, das aus einer gelungenen Zusammenstellung von Kunststoff und Metall besteht. Retro-Charme versprüht der Tecta-Barwagen M4R. Obwohl er erst 2002 entworfen wurde, greift er raffiniert den Bauhaus-Stil auf. Und da ist natürlich der legendäre, faltbare Dinett, früher von der Firma Bremshey im deutschen Solingen hergestellt. Heute wird er nicht mehr produziert, aber auf Verkaufsportalen wie Ebay oder Ricardo findet man ihn noch zuhauf, einfach mit etwas Patina.
Neuere Modelle
Interessant ist, dass auch junge Designer Freude an diesem Möbel finden und in den letzten Jahren neue Modelle kreierten. Wie etwa Sebastian Herkner, der für Schönbuch den Servierwagen «Grace» entwarf. Ein Modell, das mit seinem puristischen Design überzeugt und oft auch in den Interior-Magazinen auftaucht. Es ist aus pulverbeschichtetem Stahl in diversen Farben erhältlich. Ein filigranes Modell aus Stahl ist Christophe de la Fontaines Servierwagen «Come as you are» für Dante. Mit schlichtem, gradlinigem Design beeindruckt der Barwagen Mojito Wood von Marino Burba für Cattelan Italia. Der Trolley ist mit Flaschenfächern und einem praktischen halbhohen offenen Fach ausgestattet. Ähnlich aufgebaut ist die Butler Konsole von Atmosphera.
Tagsüber wird er als mobiler Arbeitsplatz und abends als stilvoller Barwagen eingesetzt: der Zenzero von Opinion Ciatti bietet Platz auf drei Tabletts, die von einem geschwungenen Rahmen aus dünnen Stahlrohren gehalten werden. Beim Chariot von Casamania kommt trotz des spannenden Designs mit den übergrossen Rädern die Funktionalität nicht zu kurz. Der Servierwagen bietet auf zwei Ebenen genügend Platz für Getränke oder Speisen. Das Modell Spritz von Designer David Dolcini für Porada ist aus Nussbaumholz und mit den klaren Linien definitiv ein schöner Eyecatcher – wo immer der Wagen auch gebraucht wird. Wer sich ein besonders edles Stück anschaffen will, muss etwas in die Tasche greifen. Aber es gibt auch günstigere Modelle ab wenigen hundert Franken.
Vielfältig einsetzbar
Der Servierwagen mag für manche noch immer etwas spiessig daherkommen. Unbestritten ist aber, dass das mobile Tischchen äusserst vielfältig eingesetzt werden kann. Natürlich ist er wie schon früher ein praktischer Servierwagen, wenn man vor den Gästen die Teller anrichtet. Sie dienen gerade in kleinen Küchen aber auch ideal als mobile Kücheninsel, mit einer Ablagefläche auf den unteren Gestellen und einer Arbeitsfläche, die zum Schneiden oder Rühren verwendet werden kann. Auch die Minibar, wie man sie zwischen den 1950er- und den 1970er-Jahren oft antraf, erlebt gerade ein Comeback in den Wohnzimmern. Und was eignet sich besser als ein Servierwagen, um Whisky, Gin oder auch Non-Spirits perfekt zu präsentieren?
Das rollende Möbel kann jedoch auch praktisch als Beistelltisch mit Stehlampe, Büchern oder Blumen eingesetzt werden. Im Eingangsbereich dient es als ideale Ablage für Schlüssel, Schals und Sonstiges. Seit das Badezimmer immer mehr zur Wellnessoase wird, passt auch hier ein Servierwagen perfekt für Handtücher, Badesalz oder Kerzen. Und im Homeoffice-Bereich dürfte er immer häufiger zum Einsatz kommen: als ideale Ablage für all die technischen Gadgets, die heutzutage so unverzichtbar sind. Wer einen Garten oder eine Terrasse besitzt, weiss, wie praktisch er ist, wenn man einen Brunch oder einen Aperitif servieren möchte. Viele Modelle sind heute aus wetterbeständigen Materialien, sodass ihnen auch ein Regenguss nichts anhaben kann.
Genau diese Flexibilität ist es wohl, die dem Servierwagen wieder aus der Versenkung verholfen hat. Definitiv der richtige Zeitpunkt, um sich einen Kindheitswunsch zu erfüllen.