Vogelwelt

Bunte Gärten für einen bunten Finken

Vogelwelt Der Stieglitz ist ein lebhafter Vogel, der wegen seines farbenfrohen Gefieders in vielen Gärten ein gern gesehener Gast ist. Um sich im Siedlungsraum wohlzufühlen, ist er auf naturnahe Gärten angewiesen.

von Carine Hürbin

Mitarbeiterin Kommunikation, Schweizerische Vogelwarte Sempach

Wir sind auf einem Spaziergang am Ortsrand entlang der letzten Häuserzeile, wo sich Gärten und Wege abwechseln. Auf offenen Flächen gedeihen Wegwarte, Karden und Disteln. Von diesem Streifen her erklingt leises, aber anhaltendes Gezwitscher. Plötzlich fliegt ein Schwarm Vögel auf; auf ihren Flügeln sind kurz gelbe Flecken zu sehen. Dann ist es wieder still am Wegrand.

Die Farbe und sein Gezwitscher verraten ihn schnell: den Stieglitz, auch Distelfink genannt. Nomen est omen: Oft sind Stieglitze auf Samenständen von Disteln und Karden anzutreffen, was ihnen erst den Namen «Distelfink» eingetragen hat. Der hauptsächlich genutzte Name «Stieglitz» dagegen leitet sich von seinem Ruf ab, der ähnlich wie «stig-litt» klingt.

Mit ihrem kräftigen, aber dennoch spitzen Schnabel klauben Stieglitze gekonnt allerhand Samen aus Wildstauden und Sträuchern. Überhaupt führen sie uns immer wieder vor Augen, wie geschickt und lernfähig sie sind: So beherrschen junge Distelfinken nicht alle Techniken für das Picken von Samen von Beginn an, sondern lernen einige erst von ihren Eltern. Auch auf ihren Schnabel achten sie und wischen ihn immer wieder ab, damit ihn die Pflanzensäfte nicht verkleben.

Oft schliessen sie sich zu lockeren Trupps aus Jungvögeln und Erwachsenen zusammen und gehen gemeinsam auf Nahrungssuche. So steigen die Chancen, Futter zu finden, und im Schwarm sind sie besser vor Fressfeinden geschützt. Im Winter, wenn das Angebot an Samen knapper wird, ziehen manche hiesige Stieglitze weg, vor allem in den Mittelmeerraum. Andere harren einzeln oder in kleinen Gruppen auch in der kalten Jahreszeit bei uns aus.

Inspiration für die Kunst

Der Stieglitz verfügt über ein reiches Stimmrepertoire: Viele verschiedene Rufe und ein Gesang, der sich aus einem fast unaufhörlichen Gezwitscher zusammensetzt, und den er leise und rasch vorträgt. Darin finden sich neben klaren, melodisch plätschernden Lauten auch Triller oder Quetschlaute. Auch das Weibchen singt beim Stieglitz, wenn auch weniger laut und ausdauernd als das Männchen.

Das muntere Zwitschern hat in der menschlichen Kultur seine Spuren hinterlassen: So hat der Komponist Antonio Vivaldi in seinem Flötenkonzert «Il gardellino» den Gesang des Stieglitzes auf die Querflöte übertragen. Aufgrund seiner kräftigen Farben und des lebhaften Gesangs war er als Käfig- und Ziervogel beliebt, und in Gedichten wie «Des Knaben Wunderhorn» von Clemens Brentano oder auf Gemälden wurde der Fink verewigt.

Vogelfreundliche Gartengestaltung

Von Obstgärten, Brachen, Alleen zu Pärken und Gärten – es gibt viele Lebensräume, die dem Stieglitz zusagen. Wichtig ist, dass er ein breites Angebot an Samen vorfindet. Diese können zum Beispiel von Birken, Disteln, Sonnenblumen, Huflattich oder Löwenzahn stammen. Seinen Jungen verfüttert er auch Insekten wie Blattläuse.

Doch auch dieses Nahrungsangebot schwindet, denn die intensive Landwirtschaft und zunehmend monotone Gärten verringern die Insekten- und Pflanzenvielfalt. Ähnliches geschieht auch im Siedlungsraum. Ausserdem wird gegen «störende» Tiere und Pflanzen leider allzu oft Gift eingesetzt, und vielerorts gelten Schottergärten oder monotone Rasenflächen als ordentlicher und ästhetischer als Grünareale, die vielfältig und abwechslungsreich gestaltet sind.

«Wilde Ecken» und naturnahe Gärten bieten allerdings dem Stieglitz und zahlreichen weiteren Lebewesen eine wichtige Lebensgrundlage. Im Siedlungsraum besteht daher grosses Potenzial, um den Stieglitz zu unterstützen. Wer bei der Bepflanzung auf einheimische Sträucher und Stauden setzt und die Samenstände stehen lässt, tut ihm viel Gutes. Zusätzlich profitieren zahlreiche Insektenarten und weitere Lebewesen, die Samenstände und Pflanzenstängel als Versteck und Überwinterungsort nutzen.

Wertvolle alte Bäume und Dornensträucher

Für sein Nest nutzt der Stieglitz am liebsten Apfel- oder Birnbäume und baut es in den Astgabeln der äussersten Zweige. Das Weibchen wählt einen Nistplatz, gut vor Sonne und Sicht geschützt, in einigen Metern Höhe. Das Nest besteht aus feinen Zweigen, Flechten, Moos und Haaren und wird vom Weibchen allein gebaut. Es brütet während gut zwei Wochen vier bis sechs Eier aus. In dieser Zeit ist das Weibchen vielen Gefahren ausgesetzt, und einheimische Dornensträucher bieten dann zusätzlichen Schutz. Nach dem Schlupf füttern Weibchen und Männchen die Jungen gemeinsam.

Naturnah überall

Auch in kleinen Gärten oder auf Balkonen ist naturnahe Gestaltung möglich. Beispielsweise lassen sich exotische Zierblumen im Balkontrog durch Wildkräuter wie Thymian, Dost, Majoran oder Lavendel ersetzen. Diese sind bei Käfern, Schmetterlingen, Fliegen und Blattläusen beliebt, die der Stieglitz – und viele weitere Singvogelarten – für das Füttern ihrer Jungen brauchen.

Zu einem vogelfreundlichen Garten oder Balkon gehört zudem, dass Glasfronten als Kollisionsgefahr für Vögel entschärft werden und auf Pestizide und Torf im Garten verzichtet wird.

Ob Käfer, Bienen und Schmetterlinge im Frühling und Sommer, oder stehen gelassene Karden- und Distelköpfe im Herbst, an denen sich der Stieglitz gütlich tut: In einem abwechslungsreich gestalteten Garten gibt es zu jeder Jahreszeit etwas zu entdecken. Und wenn sich das Rot und Gelb des Stieglitzes einstellt, werden Garten oder auch Terrasse noch ein ganzes Stück bunter.