Tiny Houses

Auf kleinstem Raum

Minihäuser sehen klein und niedlich aus, doch wie lebt es sich darin?

von Yvonne Lemmer

Redaktion, HEV Schweiz

Für viele Menschen steht ein geräumiges Haus ganz oben auf der Wunschliste. Ein Trend aus den USA zeigt jedoch, dass es auch anders geht: Winzige Häuser, oder auf Englisch «tiny houses», erfreuen sich im Land der Superlative immer grösserer Beliebtheit. Ein Tiny House ist ein Häuschen mit einer geringen Wohnfläche, meist zwischen 10 und 40 m2 gross. Es kommt oft wie ein konventionelles Haus mit Satteldach daher und kann im Boden verankert sein oder auf Rädern stehen. Damit lässt es sich an einen beliebigen Ort transportieren. Ob die Tiny-House-Bewegung eine direkte Folge der amerikanischen Immobilienkrise von 2007 ist?

Von den USA in die Schweiz

Hierzulande ist das Leben im Minihaus noch nicht verbreitet. Obwohl davon gesprochen wird, dass die Wohnungsgrössen in Zukunft abnehmen werden und es weniger Wohnfläche pro Bewohner geben wird, sieht die Realität in der Schweiz noch anders aus. Gemäss Bundesamt für Statistik ist die durchschnittliche Wohnfläche pro Bewohner in den letzten 60 Jahren immer mehr angestiegen. Heute liegt sie bei 50 m2. Da die Bodenpreise jedoch weiter steigen, ist die Fläche der grösste Kostentreiber beim Wohnen. Dies kann in Zukunft dazu führen, dass kleinere Wohnflächen nachgefragt werden.

Ein paar wenige reale Beispiele von Kleinsthäusern lassen sich in unmittelbarer Umgebung schon finden. Zum Beispiel im süddeutschen Weil am Rhein nahe der Schweizer Grenze. Dort steht seit Juni 2013 ein Minihaus, das kleiner nicht sein könnte: Knappe 7 m2 Wohnfläche hat «Diogene».

Kleiner geht’s nicht

Diogene ist auf dem Campus des Schweizer Familienunternehmens Vitra zu finden. Vitra stellt Möbel und Ladeneinrichtungen her. Das Minihaus Diogene ist das Werk des italienischen Stararchitekten Renzo Piano. Den Namen hat er in Anlehnung an den antiken griechischen Philosophen Diogenes gewählt. Dieser bewohnte eine Tonne, weil er den weltlichen Luxus als überflüssig betrachtete. Eigentlich ist man sich Grösseres von Renzo Piano gewohnt. Er erbaute unter anderem das Centre Pompidou in Paris, das Hochhaus «The Shard» in London und das Zentrum Paul Klee in Bern. Kleiner als Diogene geht es kaum: 2,5 x 3 Meter Grundfläche hat das 1,2 Tonnen schwere und 3,2 Meter hohe Minihaus. Von aussen wirkt es wie ein einfaches Haus, betrachtet man es genau, zeigt es sich aber als hochkomplexes technisches Gebilde. Photovoltaikzellen und Solarpanels, Regenwassertank, biologische Toilette, natürliche Belüftung und Dreifach-Isolierverglasung ermöglichen Selbstversorgung und Unabhängigkeit von lokalen Infrastrukturen. Das Minihaus funktioniert als autarkes System. «Diogene versorgt einen mit dem, was man wirklich benötigt, und mit nichts sonst», sagte Renzo Piano, als er sein kleinstes Werk 2013 vorstellte. Kaufen kann man das Minihaus allerdings nicht, denn die Umsetzung in eine industrielle Produktion erwies sich als schwierig. Die architektonischen und technischen Ansprüche liessen keinen tiefen Kaufpreis zu. Deshalb bleibt das Minihaus Diogene vorerst eine Idee und muss weiter auf seinen ersten steten Bewohner warten.

Autark leben

Bereits seit drei Jahren bewohnt ist hingegen die Ökowohnbox in Nänikon ZH – ebenfalls ein Minihaus. Auf 35 m2 lebt darin die Baubiologin Tanja Schindler, die das Projekt Ökowohnbox ins Leben gerufen hat. Was sie am Wohnen auf kleinem Raum schätzt? «Man hat weniger Dinge und weiss dafür, was man hat und findet alles schneller», sagt Tanja Schindler und ergänzt: «Ich überlege mir bei jedem Kauf, ob es wirklich notwendig ist. Dadurch spare ich extrem viel Geld.» Die Baubiologin fühlt sich auch nach drei Jahren noch wohl in der Box: «Kleine Räume sind viel gemütlicher, ich fühle mich geborgener. Ausserdem sind die Wege kurz, und das Haus ist schnell geputzt – auch ein Frühlingsputz ist überschaubar!»

Ihre Wohnbox ist eigentlich mobil, steht aber seit Fertigstellung in Nänikon ZH. Die Idee ist es, dass Private, die einen grossen Garten besitzen, dessen Unterhalt ihnen zu viel Arbeit bereitet, ihr Land für eine Ökowohnbox zur Verfügung stellen. Die Box wird vermietet und Vermieter und Mieter profitieren: der Vermieter durch Mieteinnahmen und Hilfe bei der Gartenarbeit und der Mieter durch das Bewohnen eines eigenen kleinen Hauses inklusive Gartennutzung. Auch denkbar wäre es, dass Gemeinden oder Städte Ökowohnboxen auf Brachflächen für einen beschränkten Zeitraum erlauben, bis die Flächen anderweitig bebaut werden.

Ausgeklügelte Ausstattung

Die Ökowohnbox ist mit Trockentoilette, wassersparender Waschmaschine und sparsamen Armaturen, LED-Leuchten mit niedrigem Stromverbrauch und Holzofen mit Stückholzheizung ausgestattet. Die Wärmedämmung besteht aus Lehm. Möbel, Böden sowie Fensterrahmen sind aus massiver Eiche. Und die Technik? Die Photovoltaikmodule an der Südfassade produzieren den Strom für die Box. Warmwasser wird mit den thermischen Solarkollektoren auf dem Dach generiert. Gekocht wird mit Flüssiggas aus der Flasche.

Ohne Mehrfachnutzung ist das Wohnen im Minihaus kaum möglich. Wo verstaut man zum Beispiel die Kleider? «Ich habe einen grossen Schrank, der als Trennwand zum Schlafbereich fungiert und alle Kleider und Bücher aufnehmen kann. Auch mein Büro ist darin untergebracht», erklärt Tanja Schindler. Alle Gestelle in der Box sind beweglich, und man kann sie zum Sitzen umfunktionieren. Der Sofa-Beistelltisch ist gleichzeitig ihr Hocker zum Arbeiten. Ausserdem hat die Box einen ausziehbaren Esstisch, der unter sich die Herdplatte bei Nichtbenutzung versteckt.

Das Interesse an der Ökowohnbox ist laut Tanja Schindler gross: «Viele könnten sich vorstellen, so zu wohnen. Es hat auch einige, die es sofort umsetzen würden, falls sie ein entsprechendes Stück Land finden und die Bewilligung erhalten würden.» Und die Kosten? Kaufen kann man die Box schlüsselfertig und bewohnbar für Fr. 180 000.–. Allerdings kommen noch weitere Fr. 60 000.– für Transport, Erschliessung und Fundament hinzu.

Ganz so mini wie dessen Fläche sind die Kosten also für ein Kleinsthaus nicht – weder im Falle der Ökowohnbox noch für Diogene. Und: Für die Kosten muss man ganz alleine aufkommen. Denn für die Finanzierung eines nicht fix verankerten Minihauses gewähren die Banken keine Hypothek – die nötige Sicherheit fehlt, da es wegtransportiert werden könnte.

Über die Tiny-House-Bewegung

Die Tiny- oder Small-House-Bewegung ist eine gesellschaftliche Bewegung, die für das Leben in Kleinsthäusern steht. 2002 wurde in den USA die Small-House-Society gegründet. Bewohner eines Tiny Houses entscheiden sich bewusst dazu, ihre Wohnfläche zu verringern. Durch das Downsizing erwirken sie u.a einen tiefen Energieverbrauch. Die Häuser sind oft zwischen 10 und 40 m2 gross. Die kleine Wohnfläche soll zu einem effizienteren Leben führen. Als Gründe für das Wohnen im Minihaus kommen die Rückkehr zu einem einfachen Leben oder die tiefen Kosten infrage. Die Kosten für die Anschaffung eines Minihauses sind kleiner als für ein normales Haus, vielfach sind die Häuser in den USA ohne Hypothek finanzierbar. Teilweise werden sie sogar selbst gebaut. Gründe können weiter das Kleinhalten des eigenen öko-logischen Fussabdrucks oder der Wunsch nach einem autarken Leben sein.

«Man hat weniger Dinge und weiss dafür, was man hat und findet alles schneller.»