Wohnen im Alter

Altersgerechte Wohnräume kehren in Zentren zurück

Wohnen heute & morgen Die Bedürfnisse älterer Menschen haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten stark gewandelt – in sozialer Hinsicht und auch, was das Wohnen anbelangt. Während in den 80er- und 90er-Jahren viele Ältere frühzeitig ins Altersheim zogen, sind heute andere Wohnformen und Unterstützungsangebote im Alter gefragt. Die Gemeinde Horgen nimmt mit ihrer fortschrittlichen Alterspolitik eine Vorreiterrolle ein.

von Isabelle Wachter

Journalistin, Zürich

Viele ältere Menschen wollen in ihrem vertrauten Wohnumfeld möglichst lang selbstständig und selbstbestimmt leben können. Die meisten gehen erst in eine stationäre Pflegeeinrichtung, wenn sie eine Pflegestufe erreicht haben, die von der Spitex zu Hause nicht mehr erbracht werden kann. Dennoch benötigen viele ältere Menschen Unterstützung, bevor dieser Punkt erreicht ist.

Die Gemeinde Horgen hat dieses Bedürfnis bereits vor über 30 Jahren erkannt und schon damals die Stelle eines Altersbeauftragten geschaffen. Im Jahr 2014 reorganisierte die Gemeinde die Altersarbeit innerhalb der Verwaltung und nahm die Anlaufstelle Alter und Gesundheit in Betrieb. Das heute siebenköpfige Team ist transdisziplinär aufgestellt und besteht aus Sozialarbeiterinnen, Wohnberaterinnen und Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen. Die Anlaufstelle steht der Bevölkerung kostenlos für Hilfe und Beratung zu allen Lebensfragen im Alter zur Verfügung. «Die Bedürfnisse der Seniorinnen und Senioren sind vielschichtig. Während die einen eine Wohnungsanpassung oder die Spitex benötigen, brauchen andere Hilfe bei der Abklärung von Ergänzungsleistungen oder beim Ausfüllen der Steuererklärung», erläutert Elke Wurster. Sie arbeitet 80 Prozent bei der Anlaufstelle als Siedlungs- und Wohnassistentin und kümmert sich, wie ihre Teamkollegen, um die Bedürfnisse der Seniorinnen und Senioren in den Horgner Quartieren. Zusätzlich ist sie für die Alterssiedlung Baumgärtlihof verantwortlich. Dort ist sie für die Vermietung der 30 Alterswohnungen zuständig und fördert die gute Nachbarschaft im Haus. Ob in der Siedlung oder an einer anderen Adresse in der Gemeinde: Sie organisiert Notrufsysteme, Putz- und Einkaufshilfen oder was auch immer die Senioren kurz- oder langfristig für ihr Wohlbefinden benötigen. Stets nach der Devise: So wenig wie möglich, so viel wie nötig und das Ganze immer situativ betrachtet.

Gut aufgehoben im Baumgärtlihof

Elke Wurster kennt alle Bewohnerinnen und Bewohner der Alterssiedlung Baumgärtlihof persönlich. So auch Louise Bühler. Die 87-jährige Frau wohnt bereits seit dem Jahr 2005 im Baumgärtlihof. «Mein Mann Res und ich haben hier die schönste Zeit unseres Lebens verbracht», schwärmt sie. Das kinderlose Ehepaar hat zuvor ein wenig ausserhalb gewohnt und sich dann in Anbetracht des Älterwerdens entschieden, ins Dorfzentrum zu ziehen. Im Jahr 2020 ist ihr Mann verstorben. «Ich war froh, dass mir ein Sozialarbeiter von der Anlaufstelle mit der ganzen Administration, die so ein Todesfall mit sich bringt, geholfen hat», sagt Louise Bühler nachdenklich. Jetzt sei sie alleine. Aber sie habe Gesellschaft, wenn ihr danach sei. So isst Louise Bühler jeden Mittwoch mit einer Gruppe von Seniorinnen und Senioren im Begegnungszentrum Baumgärtlihof zu Mittag. Diesen runden Tisch hat die Anlaufstelle ins Leben gerufen. «Wir sprechen mit den Leuten und versuchen ihre Bedürfnisse herauszuhören. Wenn wir merken, dass mehrere Leute das gleiche Bedürfnis haben, werden wir aktiv und entwickeln eine Idee wie beispielsweise den runden Tisch am Mittwochmittag», erklärt Elke Wurster.

Louise Bühler ist für solche Initiativen dankbar. Und auch dafür, dass sie im Baumgärtlihof trotz fortgeschrittenen Alters noch sehr selbstständig leben kann: «Einmal pro Monat kommt eine Putzfrau. Die Anlaufstelle hat mir beim Aufsetzen des Vertrages für die korrekte Anstellung geholfen. Ansonsten koche und putze ich selbst. Und auch kleine Einkäufe erledige ich mithilfe meines Rollators problemlos selbst. So bleibe ich länger agil.»

Unterstützung in den Quartieren

Das Gleiche wie im Baumgärtlihof macht Elke Wurster auch für Seniorinnen und Senioren in den Horgner Quartieren. Häufig melden sich auch Angehörige oder Nachbarn bei der Anlaufstelle. So kam zum Beispiel ein Anruf von Nachbarn, die sich sorgten, dass die alleinstehende Seniorin von nebenan Anzeichen einer beginnenden Demenz zeige und vergessen könnte, den Gasherd zuzudrehen. «In solchen Fällen kontaktieren wir die Seniorin und fragen, ob wir einen Hausbesuch machen dürfen. Vor Ort können wir uns ein Bild der Situation machen. Die Angehörigen werden ebenfalls eingebunden. Gemeinsam erörtern wir dann die Probleme und zeigen verschiedene Lösungsansätze auf», so Elke Wurster. Dabei bindet sie auch Freiwillige wie beispielsweise die Nachbarschaftshilfe Horgen ein. Zudem hat die offene Jugendarbeit Horgen das Projekt «Sackgeldjobs» ins Leben gerufen. Dabei helfen Jugendliche aus der Oberstufe beim Erledigen des Haushalts, bei PC-Problemen, beim Einkaufen oder Fensterputzen und erhalten dafür ein Sackgeld von zirka 13 Franken pro Stunde. «In Horgen gibt es ein paar funktionierende Kooperationen zwischen Senioren und Jugendlichen. Solche Projekte stärken die Bindung und das Verständnis zwischen den Generationen», erklärt Elke Wurster.

Care-Arbeit ist nicht nur Privatsache

Damit ein Mensch zu Hause gut alt werden kann, braucht es manchmal Pflege, oft aber auch ganz andere Arten von Unterstützung, die sich unter dem Begriff «Betreuung» zusammenfassen lassen. Das Konzept der Pflege zu Hause durch die Spitex ist national etabliert und durch die Grundversicherung der Krankenkassen gedeckt. Wer für die Betreuung zuständig ist, ist hingegen unklar, die Finanzierung weitgehend Privatsache. Während in Horgen die Anlaufstelle Alter und Gesundheit sowie Freiwillige einen Teil der sogenannten Care-Arbeit übernehmen, ist das in vielen anderen Gemeinden noch reine Privatsache. Oft übernehmen Angehörige Betreuungs- und Hausarbeiten für ältere Menschen – und zwar unentgeltlich. «Durch den demografischen Wandel der Gesellschaft – die Familien sind kleiner als früher – und die gleichzeitige Zunahme der Mobilität der jüngeren Menschen wird es für die Angehörigen schwieriger, Care-Arbeit zu leisten», so Elke Wurster. Seit 2011 sind die Gemeinden verpflichtet, eine Ansprechperson für Fragen rund ums Alter zu stellen. Nicht alle interpretieren diese Aufgabe so umfassend, wie es Horgen tut. «Es ist gut möglich, dass andere nachziehen und dazu auch die Vernetzung mit Freiwilligenarbeit stärken werden», meint Elke Wurster.

«In Horgen gibt es funktionierende Kooperationen zwischen Senioren und Jugendlichen.»

Elke Wurster

Dossier «Wohnen heute & morgen»

Erfahren Sie in unserer Artikelserie «Wohnen heute & morgen» mehr über aussergewöhnliche Wohnformen und neue Formen des Zusammenlebens für Jung und Alt. Hier finden Sie weitere Beiträge aus dem Dossier.

«Einmal im Monat kommt eine Putzfrau. Ansonsten koche und putze ich selbst. Und auch kleine Einkäufe erledige ich mithilfe meines Rollators problemlos allein.»

Louise Bühler

 

Alterswohnungen statt Altersheime

Care-Arbeit wird künftig an Bedeutung gewinnen. So wird die Strategie «ambulant vor stationär» von vielen Akteuren in der Altersarbeit verfolgt. Sie bezieht sich nicht nur auf Spital und Pflege, sondern auch auf Raumplanung, die Gestaltung von Quartieren, auf neue Unterstützungsangebote, auf die Förderung der Teilhabe am sozialen Leben und auf die Entwicklung von Produkten, die zu Hause eingesetzt werden können. Auch der zunehmende Bau von Alterswohnungen oder die Anpassung von Wohnungen im Bestand tragen zur Strategie «ambulant vor stationär» bei. So haben sich Altersheime in den vergangenen Jahren zu eigentlichen Pflegeheimen entwickelt.

Das bestätigt auch Andrea Grünenfelder. Die promovierte Psychologin und Mediatorin erarbeitet zusammen mit anderen Fachpersonen (Lebensraum-)Konzepte, die sich an den Bedürfnissen älterer Menschen orientieren. Dabei geht es nicht nur um bauliche Massnahmen wie maximale Barrierefreiheit, sondern auch darum, dass ältere Menschen in die Gesellschaft eingebunden bleiben. «Künftig wird es nur noch Pflegehäuser und Alterswohnungen geben. Wir gehen heute definitiv in Richtung Deinstitutionalisierung. Waren früher Altersheime – gleich wie Psychiatrien oder Gefängnisse – an den Stadträndern anzutreffen, verlagern sich heute altersgerechte Wohnräume wieder in die Zentren und somit auch in die Mitte unserer Gesellschaft.»

Damit einher gehen ein neues Verständnis über das «Älterwerden und Altsein», die Chancen eines intergenerationalen Austauschs und ein grundsätzlich neues Bild über das Alter selbst. Dabei steht die Schaffung von Begegnungszonen in den Quartieren und Siedlungen sowie Personal am Beispiel der Anlaufstelle Horgen, das Seniorinnen und Senioren zu Hause aufsucht, im Vordergrund. Andrea Grünenfelder ist überzeugt: «Wenn älteren Menschen ihre alltäglichen Aktivitäten entzogen werden, weil sie zu früh in ein Pflegehaus kommen, kann daraus Unterbeschäftigung oder gar eine Depression resultieren, was wiederum höhere Kosten verursacht. Hingegen halten die individuelle Autonomie, das eigene Kompetenzerleben sowie die soziale Verbundenheit mit anderen Generationen die Menschen zusammen.»