Interview

Ménage-à-trois im Zeichen der Nachhaltigkeit

Der Zürcher Designer Frédéric Dedelley spannte für seinen Sessel «Ensō» mit Christian Kaegi vom Taschenlabel Qwstion und dem Traditionsunternehmen Lehni zusammen. Im Interview berichten die beiden, wie der nachhaltige Sessel entstanden ist.

Der Schweizerische Hauseigentümer: Ein Möbelhersteller, ein Taschenlabel und ein Designer – wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit?

Frédéric Dedelley: Ich habe schon einige Male Möbel für Lehni entworfen. Im Sommer 2019 habe ich eine Carte Blanche bekommen, ein Möbel zu entwerfen, das die Lehni-Kollektion ergänzen könnte. Für mich war schnell klar, dass ein Lounge-Möbel in der Kollektion fehlte. Und da es mir wichtig war, einerseits an die Tradition von Lehni anzuknüpfen, andererseits aber auch die Kollektion aufzufrischen, entschied ich mich, ein niedriges Sitzmöbel mit textilem Bezug vorzuschlagen.

Und so kam Qwstion ins Spiel. Weshalb fiel die Wahl auf den Zürcher Taschenhersteller?

Frédéric Dedelley: Qwstion und Lehni teilen meiner Ansicht nach die gleichen Werte. Beiden ist das Thema Nachhaltigkeit wichtig: Lehni verwendet für seine Entwürfe seit 1964 recyceltes Aluminium. Qwstion experimentiert schon lange mit nachhaltigen Textilien. Ihre Entwicklung «Bananatex» schien mir perfekt zu meinem Entwurf zu passen.

Was macht den Stoff so besonders?

Christian Kaegi: Es ist das weltweit erste technische Gewebe aus Bananenfasern. Es ist zum einen sehr robust und langlebig, zum anderen leicht und flexibel. Bananatex ist mit natürlichem Bienenwachs wasserabweisend beschichtet und zeichnet sich durch eine fein strukturierte Haptik aus.

Wie kam es zu dieser Innovation?

Christian Kaegi: Mit Bananatex beantworten wir Fragen, die uns seit der Gründung von Qwstion immer wieder beschäftigt haben. Wir haben uns von Anfang an gefragt, weshalb die allermeisten Taschen aus umweltschädlichen Textilien hergestellt werden? Die Antwort ist denkbar einfach: Es ist billiger – vor allem, weil weniger Menschen in den Herstellungsprozess von synthetischen Geweben involviert sind als bei der Verwendung von Naturfasern.

Ihr Vorschlag zur Lösung?

Christian Kaegi: Wir stellen nur noch Taschen aus nachwachsenden Rohstoffen her, die genauso funktional wie nachhaltig sind. Zunächst haben wir als natürliche Alternativen zu synthetischen, erdölbasierten Textilien ein Etappenziel in Form eines Canvas aus 100 % Bio-Baumwolle erreicht: 2015 stiessen wir bei unseren Recherchen auf die Bananenstaude Abacá. Die Fasern der Bananenpflanze werden im philippinischen Hochland biologisch kultiviert. Während drei Jahren haben wir daraus ein neues funktionelles Gewebe entwickelt. Bananatex ist von uns als Open-Source-Projekt entwickelt worden. Wir wollen andere Marken dazu ermutigen, es ebenfalls zu verwenden – sei es aus der Automobilbranche, sei es aus der Sport- oder Möbelbranche.

Wie Lehni.

Christian Kaegi: Genau. Die Sitzfläche für den Stuhl ist aus unserem kompostierbaren Bananatex. Dank Panamabindung ist das Gewebe robust und weich zugleich. Die Gestelle sind zu 70 Prozent aus rezykliertem Aluminium. Das heisst, der ganze Stuhl ist kreislauffähig. Denn wir haben als Designer eine Verantwortung: Mein Anspruch ist es, dass ein neues Produkt nachhaltig und besser sein sollte als das, was es bislang schon gibt.

Worin lag – neben der Kreislauffähigkeit – die Inspiration für die Formgebung?

Frédéric Dedelley: Ich wollte einen lang-lebigen Sessel schaffen, der eine Verwandtschaft zu den Möbeln von Andreas Christen zeigt. Wie dessen Möbel sollte «Ensō» an die Gute Form anknüpfen. Das heisst, der Entwurf sollte den Kriterien von hoher Nützlichkeit, Lebensdauer, Ergonomie, Sparsamkeit, Sachlichkeit und Funktionalität entsprechen. Aber «Ensō» ist auch ein Kind seiner Zeit: Er ist etwas tiefer, breiter und entspannter als die Möbel von Andreas Christen. Man lebt und sitzt heute ja anders als in den 1990er-Jahren.

Der Sessel wirkt leicht und dennoch robust, minimalistisch und doch gemütlich.

Frédéric Dedelley: Der Sessel ist nur aus sechs geschwungenen Aluminiumprofilen gestaltet, die mit zehn Schrauben mechanisch verbunden sind. Eine konstruktive Lösung. Da wir die Profile auf der Stierli-Biegemaschine in Lehnis Fertigungshalle gebogen haben, waren wir in der Gestaltung recht eingeschränkt. Aber genau das reizt mich ja als Designer. Und mit dem Stoff bringen wir eine sinnliche Komponente ins Spiel.

Das klingt nach viel Detailarbeit.

Frédéric Dedelley: Ja, wir haben lange an Gestell und Sitz getüftelt, an den Proportionen gefeilt, die Radien optimiert, die Ergonomie verbessert. Christian Kaegi: Eine der grössten Herausforderungen war, den Schnitt des Textils so zu gestalten, dass der Zuschnitt möglichst effizient und ohne grossen Abfall gelingt.

Der Stuhl ist auch sehr effizient vom Platzverbrauch her.

Frédéric Dedelley: Ja, er ist stapelbar. Und er passt zerlegt in seine Einzelteile in ein flaches Paket.

Wieso trägt der Sessel einen japanischen Namen?

Frédéric Dedelley: Das liegt zum einen in meiner Faszination für Japan begründet. Schon meine beiden anderen Entwürfe für Lehni, der Schrank Haïku und die Leuchte Hikaru tragen japanische Namen. Japanisch war also gesetzt. Der Name des Sessels verweist aber auch auf seine kreislauffähigen Materialien. Denn Ensō bedeutet im Japanischen Kreis.

Damit sich der Kreis schliesst, ist Mut vonnöten – vonseiten der Hersteller wie der Designer.

Frédéric Dedelley: Ja, unsere Kollaboration hat mein Bewusstsein für die Wichtigkeit des Themas Nachhaltigkeit geschärft. Ich habe viel gelernt aus der Zusammenarbeit. Ich werde versuchen, dies künftig noch stärker als bisher zu berücksichtigen in meinen Projekten. Christian Kaegi: Man konnte voneinander lernen und sich gemeinsam weiterbringen – eine zentrale Voraussetzung für Innovationen.

«Der Zuschnitt des Textils sollte möglichst effizent und ohne grossen Abfall gelingen.»

Christian Kaegi

«Mit dem Stoff bringen wir eine sinnliche Komponente ins Spiel.»

Frédéric Dedelley

Das Interview führte Andrea Eschbach, Journalistin, Zürich

Frédéric Dedelley und Christian Kaegi

Frédéric Dedelley, 1964 in Fribourg geboren, studierte Produkt-Design an der ECAL in Lausanne und am Art Center College of Design (Europe). 1995 eröffnete er sein eigenes Atelier in Zürich. Er ist in den Bereichen Möbel, Innenarchitektur und Ausstellungs-Design tätig und verfolgt freie künstlerische Projekte.

Christian Kaegi, 1979 geboren. Nach dem Studium in typografischem Gestalten in Bern und dem Industrial Design Diplom an der ZhdK gründete er das Taschenlabel Qwstion, worauf er sich seit 2015 als Creative Director voll und ganz konzentriert.

Schnörkellose Klassiker

Der Schweizer Hersteller Lehni trotzt mit seinen zeitlosen Möbeln seit jeher den Moden. Die Lehni-Produktionshalle befindet sich in Dübendorf – einem Bau des Architekten Ernst Gisel aus dem Jahr 1975.

Das Unternehmen wurde 1922 von Rudolf Lehni sen. als Bau-Spenglerei gegründet und wandelte sich später in eine industrielle Manufaktur. Rudolf Lehni jun. lernte 1964 den Designer Andreas Christen kennen. Zusammen stellten sie das Bücherregal aus Aluminium für die Expo in Lausanne her, im Anschluss wurde die Möbelkollektion um Ikonen wie den Lehni-Tisch (1977) oder das Lehni-Bett (1982) erweitert, allesamt schnörkellose, präzis hergestellte Möbelstücke.

Heute wird das Traditionsunternehmen– im Sinne der Gründer – von Ursula und Heinz Menet geführt.

Weitere Informationen über den Sessel sowie andere Möbelstücke des Schweizer Herstellers Lehni finden Sie unter: