Garten und Terrasse

Kultivierte Wildnis

Garteninspirationen Stinsenpflanzen überleben und vermehren sich ohne weiteres menschliches Zutun.

von Carmen Hocker

Autorin, Gartenmagazin Pflanzenfreund.ch

Grossflächige Teppiche mit zierlichen Frühlingsblühern breiten sich in den Parkanlagen manch niederländischer und ostfriesischer Herrenhäuser aus. Man könnte meinen, die Natur hätte wieder einmal die schönsten Bilder gemalt. Das stimmt jedoch nur zum Teil. Denn so vertraut uns Krokus, Blausternchen und Hasenglöckchen auch erscheinen, ihre Heimat liegt südlicher, im Mittelmeerraum.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben die Adligen diese sogenannten Stinsenpflanzen in die Gärten der Adelshäuser geholt, um sich mit einem Stück «Exotik» – als Zeichen von Raffinesse – abzuheben. Der Name leitet sich vom friesischen Begriff «Stins» ab, der so viel wie Steinhaus bedeutet und eine Burg oder einen Landsitz bezeichnet. Dort, wo Herrenhäuser verlassen wurden, konnten sich die Pflanzungen sozusagen verselbstständigen. Mancherorts, wo die Häuser verschwanden, sind sie sogar die einzigen Kulturrelikte aus dieser Zeit.

Die Besonderheit der Stinsenpflanzen liegt in ihrer Art der Ausbreitung. Ohne weiteres menschliches Zutun überleben und vermehren sie sich, sie «verwildern» und werden scheinbar Teil der natürlichen Vegetation. Dabei beschränkt sich ihre Verbreitung weitgehend auf den Bereich ihrer ursprünglichen Pflanzung.

Auch im Privatgarten entstehen von Jahr zu Jahr grössere Teppiche, die schon im Frühjahr Farbe in den Garten bringen und die ersten Insekten anlocken. Und das mühsame, jährliche Ausgraben der Zwiebeln entfällt.

Das Herbst-Phlegma überwinden

Neigt sich der Sommer dem Ende zu, zeigen sich oft gewisse Ermüdungserscheinungen, man träumt von gemütlichen Abenden und vom Sofagärtnern. Denn die neuen Gartenbücher bleiben während der Saison mangels Zeit oft liegen. Doch genau jetzt ist der richtige Zeitpunkt, sich nochmals einen Ruck zu geben und nicht zu kleckern, sondern zu klotzen! Hier und da ein Zwiebelknöllchen in der Erde zu versenken, zeigt leider wenig Wirkung. Am besten beschränkt man sich auf einige wenige Arten und Sorten, um einen Effekt zu erzielen. Greift man auf bewährte «Verwilderungszwiebeln» zurück, wird die Arbeit von Jahr zu Jahr weniger.

Pflanzzeitpunkt für alle Zwiebeln: ab Ende September bis zum ersten Frost.

Sechs Stinsenpflanzen zum Verwildern

Diese sechs Stinsenpflanzen sollten Sie kennen, wenn Sie sich für eine kultivierte Wildnis in Ihrem Garten interessieren (Bilder in der Galerie oben):

  • Dalmatiner Krokus (Crocus tommasinianus): Auch als Elfenkrokus bekannt. Er trägt zartlila Blüten und fühlt sich auf einer sonnigen Wiese wohl. Anders als manche Kultursorte wirkt diese Art zierlich-natürlich. Blütezeit: Februar / März
  • Winterling (Eranthis hyemalis): Ein gelber Lichtblick im Frühlingsgarten. Der Winterling zählt zu den ersten Zwiebelgewächsen, die ihre Blüten öffnen. Gedeiht gut unter laubabwerfenden Bäumen und Sträuchern. Blütezeit: Februar / März
  • Zweiblättriger Blaustern (Scilla bifolia): So klein er ist, so gross ist sein Ausbreitungsdrang. Innerhalb weniger Jahre bildet er grössere Teppiche unter Gehölzen und in Rabatten, gerne auch bis in den Kies. Blütezeit: März / April
  • Buschwindröschen (Anemone nemorosa): Es braucht humosen, luftigen Boden. Fühlt es sich wohl, bildet es am Gehölzrand und in Stinsenweiden mit den Jahren grössere Flächen. Blütezeit: März / April
  • Gewöhnlicher Schneeglanz (Chionodoxa luciliae): Seine Blüten sind selbst bei bedecktem Himmel weit offen. Ein unkompliziertes Zwiebelgewächs für Rabatten, Stinsenweiden und unter Gehölzen. Blütezeit: März / April
  • Spanisches Hasenglöckchen (Hyacinthoides hispanica): Eine stark-wüchsige, weisse Varietät, die sich zur Verwilderung unter Bäumen oder im Gras eignet. Es blüht relativ spät, zusammen mit den ersten Stauden. Blütezeit: Mai

Dort, wo Herrenhäuser verlassen wurden, konnten sich die Stinsenpflanzen sozusagen verselbstständigen.

Filigrane Begleiter

Gräser sind in den letzten Jahren gross in Mode gekommen. Dabei nannte sie schon der Staudenzüchter Karl Foerster (1874–1970) das «Haar der Mutter Erde». Manche von ihnen treiben zeitig im Frühjahr aus, andere später und wieder andere überstehen als wintergrüne Gräser sogar die kalte Jahreszeit. Alles Aspekte, die man beim Planen einer Pflanzung mit Zwiebelblühern berücksichtigen sollte, um abwechslungsreiche Bilder zu schaffen.

Obwohl es haarfeines Laub trägt, ist das Zarte Federgras (Stipa tenuissima) erstaunlich robust. Seine noch trockenen Halme bilden einen hübschen Kontrast zu den ersten Frühlingsblühern. Das heimische Nickende Perlgras (Melica nutans) ist eine Waldpflanze und gedeiht am besten an schattigen Standorten. Die bogig überhängenden Blütenstängel passen zu Narzissen und botanischen Tulpen. Auch das Herbstkopfgras (Sesleria autumnalis) ist eine gute Strukturpflanze, die nach dem Rückschnitt am Ende des Winters schnell wieder austreibt und die Frühlingsblüher mit frischem Grün begleitet.

Das unabhängige Gartenmagazin mit Ecken und Kanten

Seit 1900 verbindet der «Pflanzenfreund» die Begeisterung fürs Gärtnern mit dem Verständnis für die Natur. Denn Gärten, Gartenmenschen und Pflanzen sind eine unerschöpfliche Quelle für spannende, teils explosive Geschichten. pflanzenfreund.ch