Wohnumgebung

Gärtnern: ein Buch mit sieben Siegeln?

Zwischen Trugbildern, Halbwahrheiten und Träumen bewegen sich Menschen, die sich dem Gärtnern verschrieben haben – oder es gerade erst entdecken. Einige der grossen Gartenmythen werden hier entschlüsselt: von A wie Abschreiben bis P wie pH-Wert.

von Nicole Häfliger

Autorin, Gartenmagazin Pflanzenfreund.ch

Beim Gärtnern ist es wie beim Kochen. Manche schwören auf das Hausrezept der Grossmutter und halten es geheimnisvoll unter Verschluss. Andere rühmen sich, selbst Hüter des heiligen Grals – pardon, grünen Daumens – zu sein und teilen ihre Weisheiten im lehrmeisterlichen Ton. Dass sich bei diesem Verhalten so manche Ungereimtheiten ergeben, ist kaum zu vermeiden.

A wie Abschreiben

Mythen entstehen, weil Menschen gerne weitererzählen. Und weil sie dazu neigen, das, was ihnen erzählt wird, auch bereitwillig zu glauben. Keine Behauptung ist hanebüchen genug, um nicht zu einem Mythos heranwachsen zu können. Einem, der sich mit jedem weitererzählenden Mund mehr festsetzt, und der mindestens so hartnäckig unausrottbar ist wie Ackerschachtelhalm. Dabei müssten wir es doch dank unseres weltumspannenden Wissenswurzelwerks besser wissen. Tun wir aber nicht. Im Gegenteil. Denn gerade das verleitet selbst journalistisch arbeitende Menschen dazu, nicht nur unhinterfragt zu glauben, sondern auch noch hundertfältig abzuschreiben.

B wie Botanische Namen

Mit «Märzenbecher» bezeichnet man in Österreich nicht etwa unsere Märzenbecher (Leucojum vernum), sondern unsere Osterglocken (Narcissus pseudonarcissus). Wem noch nicht der Kopf schwirrt, betrachte das «Bettseicherli»: Je nach Schweizer Region ist damit das Wiesen-Schaumkraut (Cardamine pratensis), das Buschwindröschen (Anemone nemorosa) oder der Löwenzahn (Taraxacum, frz. pissenlit) gemeint. Zum Glück haben wir etwas, was in solch babeltürmigen Situationen Klarheit verschafft: den wissenschaftlichen Namen. Nur er ist auf der ganzen Welt gleich – ja, sogar in allen Kantonen. Der oft gehörte Vorwurf, dass nur Besserwisser und elitäre Snobs diese botanischen Namen benutzen, ist purer Blödsinn. Nichtsdestotrotz hält er sich so beharrlich wie die falsche Bezeichnung «lateinische» Namen. Besagte Wissenschaftssprache ist nicht etwa lateinisch, sondern ein launig-kunterbunter Mix aus Latein, Griechisch und Neuschöpfungen. Das führt zu solch schmunzelwürdigen Namen wie Koelreuteria paniculata. Die Blasenesche nämlich ist benannt nach dem deutschen Botaniker Joseph Gottlieb Kölreuter. Die Bezeichnung paniculata hat übrigens nichts mit Panik zu tun, sondern bedeutet «büscheliger bzw. rispiger Blütenstand». Ja, die Namen ergeben sogar auch noch Sinn.

E wie Eierschalen

Zerstossene Eierschalen, rund um gefährdete Pflanzen ausgebracht, sollen Schnecken abhalten. Egal, mit welchen Argumenten dabei gewedelt wird: Das wirkt ebenso wenig, wie wenn man stattdessen Kaffeesatz nimmt – oder als Schnecke verkleidet rhythmisch hopsend den Garten umkreist.

G wie Grüner Daumen

Entgegen der beliebten Meinung gibt es keinen grünen Daumen. Die Leute, denen er nachgesagt wird, unterscheiden sich von anderen schlicht darin, dass sie den Pflanzen geben, was diese brauchen. Wasser zum Beispiel.

P wie pH-Wert

Müsste man einem Gartenmythos den ersten Platz auf dem Treppchen zuschreiben, dann wäre es dieser letzte hier. Keine Warnung wird öfter und eindringlicher ausgesprochen als «Nicht! Damit machst du den Boden sauer!». Verblüffend, was alles den pH-Wert in den Keller schicken soll: Rindenmulch, Holzhäcksel, Sägespäne (die nützen dafür so toll gegen Schnecken wie Eierschalen), Kaffeesatz, Koniferennadeln, Herbstlaub (zum Beispiel das der Walnuss, genau, wegen des Juglons), ja gar vor Rasenschnitt wird nicht Halt gemacht. Um es kurz zu machen: Das alles ist Käse. Man kann den Boden nicht künstlich ansäuern. Jedenfalls nicht nachhaltig. Und ganz bestimmt nicht naturnah. Wenn das so problemlos ginge, warum muss dann beim Pflanzen eines popligen Rhododendrons oder einer einzelnen Heidelbeere der Boden ausgetauscht werden? Und am besten noch mit Torf? Ein Kinderspiel dagegen das Gegenteil: Um den pH-Wert anzuheben, braucht es nur eine gewisse Menge Kalk (Calciumcarbonat) und schwupps wird der Boden alkalischer. Davon aber lässt man am besten die Finger: Es gibt weniges, was sich im Garten nicht mehr rückgängig machen lässt; das Kalken ist eines davon. Nur so als Idee: Man kann den vorhandenen pH-Wert des Bodens begrüssen und ihn mit Pflanzen bestücken, die ihn genau so mögen, wie er ist. Das wäre nicht nur der Natur abgeschaut, sondern auch clever. Wobei – ist das nicht letztlich dasselbe?

Neben praktischen Aspekten zum gärtnerischen Tun werden im Bookazine 2023 auch philosophischere Betrachtungen angestellt: Geht es in der Natur wirklich nur um Fortpflanzung allein? Herrscht im Naturgarten Chaos? Und warum ist das Paradies nicht von dieser Welt?

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Welche Mythen sich hinter den übrigen Buchstaben verbergen, lesen Sie in der ersten Ausgabe des Pflanzenfreund-Bookazines, das am 7. Februar 2023 erschienen ist und im Online-Shop bestellt werden kann: pflanzenfreund.ch