Der Schweizerische Hauseigentümer: Herr Giesel, wenn Sie an das Fenster der Zukunft denken, wie würden Sie es beschreiben?
Bernd Giesel: Das Fenster der Zukunft wird sicherlich eine Kombination aus fortschrittlichen Materialien und intelligenter Technologie sein. In 20 bis 50 Jahren besteht das perfekte Fenster voraussichtlich aus nachhaltigen und recycelbaren Materialien, die eine noch höhere Energieeffizienz bieten. Holz wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle im Innenbereich spielen, da es heute bereits ein nachhaltiges Produkt ist. Im der Witterung ausgesetzten Aussenbereich ist der Einsatz von Materialien wie recyceltem Aluminium oder biobasierten Kunststoffen mit Carbonfaseranteil denkbar, die sowohl robust als auch ökologisch sind.
In puncto Eigenschaften erwarte ich, dass Fenster nicht nur isolierend wirken, sondern auch Energie produzieren. Photovoltaik-Elemente könnten direkt in die Fensterscheiben integriert werden, so dass sie Strom erzeugen. Darüber hinaus werden Fenster wahrscheinlich intelligent sein: Sie passen ihre Lichtdurchlässigkeit automatisch an die Wetterverhältnisse an und regulieren die Raumtemperatur. Zukünftige Fenster werden in der Lage sein, sich an verschiedene Umgebungsbedingungen anzupassen, sei es durch selbstreinigende Oberflächen, automatisierte Belüftungssysteme oder Sensoren, die für bessere Luftqualität sorgen. Ziel ist es, dass Fenster nicht nur eine passive Barriere darstellen, sondern aktiv zum Wohlbefinden und zur Energieeffizienz eines Gebäudes beitragen.
Stichwort «intelligente Fenster»: Photochrome oder thermochrome Fenster passen ihre Transparenz an, indem sie auf Temperatur- und Lichtveränderungen reagieren. Sind diese bald Standard?
Thermochrome und photochrome Fenster verdunkeln sich automatisch bei starker Sonneneinstrahlung und tragen so zur Reduktion der Raumaufheizung bei, ohne dass externe Beschattungen erforderlich sind. Allerdings haben sich solche Fenster im Neubau noch nicht als Standard etabliert. Sie sind derzeit eher im Premiumsegment oder bei spezifischen Projekten zu finden, bei denen hoher Komfort und Energieeffizienz im Vordergrund stehen. In Bezug auf die steigenden Temperaturen in den Sommermonaten bieten thermochrome und photochrome Fenster eine vielversprechende Möglichkeit, den Energieverbrauch für Klimatisierung zu reduzieren. Sie könnten in Zukunft eine beliebte Lösung werden, um Hitze effektiv zu regulieren und den Einsatz von Klimaanlagen zu minimieren. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass die in der Schweiz etablierten Raffstoren – gesteuert über entsprechende Sensoren – bereits heute eine vergleichbare Aufgabe übernehmen.
Stichwort Energieeffizienz: Welche Kriterien muss ein Fenster erfüllen, um Wärmeverluste minimieren zu können?
Damit Fenster optimal zur Reduktion von Wärmeverlusten beitragen, müssen sie mehrere Kriterien erfüllen. Dazu gehört eine hochwertige Mehrfachverglasung, mindestens Dreifachverglasung. Bei der Verglasung bedeutet Energieeffizienz aber auch, dass gerade im Winter durch das Glas Sonnenenergie gewonnen werden kann. Dieser Einfluss wird bei der Energieetikette des Fensters berücksichtigt.
Daneben ist der U-Wert, also der Wärmedurchgangskoeffizient, entscheidend. Je niedriger der U-Wert, desto besser die Wärmedämmung des Fensters. Ein niedriger U-Wert ist ideal, um Wärmeverluste zu minimieren. Minergie und die aktuellen MuKEn-Normen fordern einen Uw-Wert < 1.0 W / m²K. Beachtet werden muss auch das Rahmenmaterial: Fensterrahmen aus Holz, Kunststoff oder Aluminium mit thermischer Trennung unterstützen die Isolierung. Eine auf den Baukörper abgestimmte Rahmenkonstruktion verhindert Wärmebrücken im Bauanschlussbereich. Und der Randverbund der Glasscheiben sollte aus thermisch optimierten Materialien bestehen (warme Kante), um Wärmebrücken zu verhindern. Und schliesslich ist auch eine gute Abdichtung des Fensters wichtig, um unkontrollierte Zugluft und Energieverluste zu vermeiden.
Welche Vorteile hat eine 4-fach- gegenüber einer 3-fach-Verglasung?
Eine 4-fach-Verglasung bietet theoretisch eine noch bessere Wärmedämmung als eine 3-fach-Verglasung, da eine zusätzliche Schicht Gas, in der Regel Argon, seltener Krypton, und Glasscheibe zwischen der Aussenwelt und dem Innenraum eingebracht wird. Diese kann den U-Wert weiter senken und somit Wärmeverluste noch stärker minimieren. Neben der verbesserten Isolierung kann die 4-fach-Verglasung auch Schallschutz und Sonnenschutz weiter optimieren. Allerdings bringt eine zusätzliche Scheibe auch mehr Gewicht und eine dickere Fensterkonstruktion mit sich, was zu höheren Anforderungen an die Statik, den Beschlag und die Fensterrahmen führt. Zudem steigen die Kosten für Produktion, Transport und Montage.
Der Anschaffungspreis für eine 4-fach-Verglasung liegt deutlich höher als für eine 3-fach-Verglasung. In der Praxis ist der energetische Mehrwert der 4-fach-Verglasung gegenüber der 3-fach-Verglasung oft jedoch nur marginal. Für die meisten Neubauten bietet eine 3-fach-Verglasung bereits ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis in Bezug auf Energieeffizienz.
Bei energetischen Gebäudesanierungen stellt sich die Frage, was zuerst erneuert werden sollte: Heizung, Dach- und Fassadendämmung oder Fenster. Welchen Ansatz vertreten Sie?
Bei der energetischen Gebäudesanierung gibt es verschiedene Ansätze, die Priorität hängt stark vom Zustand des jeweiligen Hauses ab. Dennoch lässt sich ein sinnvoller, schrittweiser Ansatz empfehlen. Aus meiner Sicht sollten die Fenster zu den ersten Sanierungsmassnahmen gehören. Alte, undichte Fenster sind oft die grösste Schwachstelle eines Hauses, da sie erheblich zur Energieverschwendung beitragen. Neue, energieeffiziente Fenster minimieren den Wärmeverlust und verbessern das Raumklima deutlich. Zudem tragen sie zu einer sofort spürbaren Senkung der Heizkosten bei, da sie Zugluft und Wärmebrücken beseitigen. Vorteil ist, dass die Massnahme vergleichsweise schnell umzusetzen ist und sofortigen Nutzen bringt.
Danach sollte der Fokus auf der Dach- und Fassadendämmung liegen. Beide Bereiche sind für die gesamte Gebäudehülle von zentraler Bedeutung und verhindern, dass über das Dach oder die Wände unnötig Wärme verloren geht. Eine gute Dämmung sorgt für eine gleichmässige Raumtemperatur und reduziert den Energiebedarf erheblich. Die Heizung sollte nach der Dämmung und den Fenstern modernisiert werden. Der Grund dafür ist, dass eine neue Heizung optimal arbeiten kann, wenn das Gebäude bereits gut gedämmt ist und durch die neuen Fenster wenig Wärme verloren geht. Erst dann ist es sinnvoll, in eine moderne, energieeffiziente Heiztechnik zu investieren, sei es eine Wärmepumpe, eine Pelletheizung oder ein anderes System. Denn wenn der Wärmebedarf durch die Fenster und Dämmung bereits reduziert ist, kann die neue Heizung kleiner dimensioniert und damit effizienter und kostengünstiger betrieben werden.
Könnten Sie uns kurz die Möglichkeiten für einen Fensterersatz aufzeigen?
Beim Fensterersatz gibt es mehrere Möglichkeiten, die je nach Zustand des Gebäudes und den Wünschen der Eigentümer ausgewählt werden können. Zum einen kann der Ersatz durch Renovationsfenster erfolgen. Diese Fenster sind ideal für Sanierungen, da sie auf den bestehenden Rahmen montiert werden können, ohne dass grosse bauliche Eingriffe notwendig sind. Der Austausch erfolgt schnell und mit minimalem Aufwand. Die andere Möglichkeit ist der komplette Fensterersatz: Hier wird das alte Fenster samt Rahmen entfernt und durch ein neues Fenster mit neuem Rahmen ersetzt. Dieser Prozess ist etwas aufwendiger, da er in die Bausubstanz eingreift. Dieses Vorgehen bietet sich bei Komplettrenovierungen an, bei denen auch die Aussenfassade erneuert wird.
Wissen Sie, bei wie vielen Renovationen auf Renovationsfenster gesetzt wird?
Wenn alternativ ein Renovationsfenster angeboten werden kann, wird zu einem grossen Teil auf diese Art von Fenster gesetzt – bei 4B sind das im Privatkundenbereich schätzungsweise 70 bis 80 Prozent der Fälle. Renovationsfenster bieten den Vorteil, dass sie speziell für den Austausch in bestehenden Gebäuden entwickelt wurden und ohne aufwendige bauliche Veränderungen eingebaut werden können. Das macht sie besonders bei Sanierungen von Wohngebäuden attraktiv, da der Aus-tausch schnell und sauber erfolgen kann, ohne Fassade oder Innenraum erheblich zu beeinträchtigen. Der Anteil von Renovationsfenstern in der Schweiz über alle Fensterhersteller gesehen ist jedoch gering, da nur wenige dieses System einsetzen.
Stichwort «Energiegewinnung»: Gibt es in der Schweiz schon Gebäude, die mit photovoltaischen Fenstern Strom erzeugen?
Mit teiltransparenten Solarzellen hat 4B bereits Projekte umgesetzt, jedoch ist der Nachteil an diesem Konzept, dass eine Durchsicht nur teilweise gewährleistet ist. Photovoltaische Fenster, die transparente Solarzellen zur Energiegewinnung direkt in die Verglasung integrieren, sind noch ein relativ neues Konzept. Ob es in der Schweiz bereits erste Pilotprojekte oder Gebäude gibt, die solche innovativen Technologien einsetzen, ist mir nicht bekannt. Weltweit gibt es mehrere vielversprechende Ansätze, insbesondere aus den USA (z. B. vom Start-up Ubiquitous Energy, der Michigan State University und dem MIT), aus Südkorea (Incheon National University, Ulsan National Institute of Science and Technology) sowie aus Deutschland (Universität Leipzig). Momentan erreichen die transparenten Solarzellen aber nur einen Wirkungsgrad von bis zu 10 Prozent, was im Vergleich zu herkömmlichen Solarzellen mit einem Wirkungsgrad von etwa 20 Prozent noch deutlich niedriger ist. Aus diesem Grund ist die wirtschaftliche Rentabilität solcher Technologien derzeit noch umstritten.
Zum Schluss: Manch einer wünscht sich selbstreinigende Fenster. Gibt es solche?
Ja, selbstreinigende Gläser sind bereits auf dem Markt erhältlich. Diese Gläser nutzen eine spezielle Beschichtung, die in der Regel aus Titanoxid besteht. Die Beschichtung arbeitet in zwei Phasen: Bei der Photokatalyse aktiviert das UV-Licht von der Sonne die Beschichtung, wodurch organische Verschmutzungen auf der Fensteroberfläche zersetzt werden. Die zweite Phase ist die Hydrophilie: Wenn es regnet, wird das Wasser gleichmässig über die Scheibe verteilt, anstatt Tropfen zu bilden. So werden die gelösten Verschmutzungen abgespült, ohne Streifen zu hinterlassen. Diese Technologie reduziert zwar den Reinigungsaufwand erheblich, macht das Fensterputzen aber nicht komplett überflüssig. Sie hilft vor allem bei der Entfernung von Staub und leichten Verschmutzungen, allerdings muss gelegentlich trotzdem nachgeputzt werden, besonders bei hartnäckigem Schmutz, in Regionen mit wenig Regen oder bei Einbausituationen, wo die Gläser nicht vollständig vom Regen benetzt werden.
Interviewpartner
Bernd Giesel ist seit Herbst 2023 Leiter Entwicklung beim Fensterhersteller 4B. Der Diplom-Ingenieur bringt über 20 Jahre Erfahrung im Bereich Entwicklung und Produktinnovation rund um Fenster, Türen und Sichtschutz mit.
«Aus meiner Sicht sollten die Fenster zu den ersten Massnahmen bei einer Sanierung gehören.»
Das Interview führte Yvonne Lemmer, Redaktorin beim HEV Schweiz
Ablauf eines Fensterersatzes
1. Vorab-Beratung vor Ort und Planung: Der Prozess beginnt mit einer ausführlichen Beratung vor Ort, um die spezifischen Anforderungen und Wünsche der Eigentümer zu besprechen. Dabei wird der Zustand der bestehenden Fenster und Rahmen beurteilt. Gemeinsam mit den Eigentümern wird entschieden, welches Fenstersystem am besten geeignet ist.
2. Ausmass und Produktion: Nach der Auswahl der Fenster werden genaue Masse genommen und die Fenster massgeschneidert produziert.
3. Demontage und Einbau: Renovationsfenster: Der Zugang zu dem Fenster wird zuvor abgedeckt und geschützt, die alten Fensterflügel werden entfernt, der bestehende Rahmen leicht zurückgeschnitten und gleich danach der neue Rahmen montiert und die neuen Flügel eingehängt. Innerhalb von einer Stunde ist die Fensteröffnung wieder geschlossen.
Kompletter Fensterersatz: Die reine Demontage und der Einbau ist im Vergleich zum Renovationsfenster nur geringfügig höher, jedoch sind die bauseitigen Vorleistungen und Nacharbeiten nicht zu unterschätzen. So müssen ggf. Raffstoren und Simse im Vorfeld entfernt und danach wieder montiert werden. In der Regel sind dann auch noch Putz- und Gipserarbeiten notwendig.
4. Abschlussarbeiten und Abnahme: Nach dem Einbau werden die Fenster auf ihre Dichtigkeit und Funktion geprüft, und alle Arbeiten werden sauber abgeschlossen. Die alten Fenster werden fachgerecht entsorgt und dem Recyclingprozess zugeführt.
Dauer: Ein Fensterersatz kann in der Regel pro Fenster innerhalb weniger Stunden erfolgen. Für ein ganzes Haus dauert der Prozess meist zwei bis drei Tage, abhängig von der Anzahl Fenster und der Zugänglichkeit. Eine grössere Renovation kann mehrere Tage in Anspruch nehmen.
Einschränkungen für Wohneigentümer: Vor dem Austausch werden die Bereiche unmittelbar um das Fenster freigeräumt und mit Decken und Folien abgedeckt. Die Fenstermontage erfolgt von der Rauminnenseite, so dass in der Regel auf ein Gerüst verzichtet werden kann. Die Einschränkungen im Wohnraum sind gering. Es können allerdings kurzzeitig etwas Staub und Lärm entstehen.
Weitere wichtige Punkte bei einem Fensterersatz:
- Wärmedämmung: Die neuen Fenster sollten hohe Wärmedämmwerte aufweisen, um den Energieverbrauch zu senken. Besonders auf den U-Wert der Fenster ist zu achten. Je tiefer der U-Wert, desto besser.
- Schallschutz: Gerade bei Lagen an vielbefahrenen Strassen ist es sinnvoll, Fenster mit hohem Schallschutz-Wert zu wählen.
- Luftdichtigkeit: Um Zugluft und Wärmeverluste zu vermeiden, sollten die Fenster luftdicht eingebaut und gut abgedichtet werden.
- Optik und Integration: Fenster sollten sich harmonisch in das Gesamtbild des Hauses einfügen, sowohl in Bezug auf die Fassade als auch auf das Innere des Gebäudes.
- Konsequentes Lüftungsverhalten: Neue Fenster sind dichter als alte. Deshalb muss nach dem Fensterersatz auf konsequentes Lüften geachtet werden, damit Raumfeuchte abgeführt werden kann.
Ein gut geplanter und durchgeführter Fensterersatz erhöht nicht nur den Wohnkomfort, sondern auch die Energieeffizienz und den Wert einer Immobilie erheblich.
Entwicklung bis 2024 – und Trends
In den letzten Jahren hat sich die Fenstertechnologie stark weiterentwickelt, insbesondere im Hinblick auf Multifunktionalität und Energieeffizienz. Zu den Innovationen, die 2024 bereits verfügbar sind, gehören z.B. intelligente Gläser und Glasgeländer, Multifunktionalität, Energieeffizenz, Sicherheits- und Schallschutzinnovationen, Smarthome-Integration und nachhaltige Materialien. Fenster sind heute viel mehr als nur lichtdurchlässige Öffnungen – sie sind intelligente, energieeffiziente und multifunktionale Bauelemente. Der Trend geht weiter in Richtung Automatisierung, Energiegewinnung und nachhaltige Materialien, wobei Komfort, Sicherheit und Umweltfreundlichkeit im Mittelpunkt stehen.