Garten im Winter

Der phänologische Kalender

Mit Pflanzen und Tieren durch die zehn Jahreszeiten – ja, Sie haben richtig gelesen: zehn.

Der Erfolg im Garten hängt sehr stark davon ab, ob man die Arbeiten zum richtigen Zeitpunkt erledigt. Allen voran das Aussäen und Auspflanzen. Speziell in einem dicht besiedelten Land wie der Schweiz findet man auf kleiner Fläche grosse klimatische Unterschiede. In den Städten ist es wärmer als auf dem Land, am Nordhang kühler als am Südhang, und auf 1500 m ü. M. hält der Frühling deutlich später Einzug als im Flachland. Selbst ein grosser See hat einen Einfluss: Weggis am Vierwaldstättersee war nicht zufällig die Gemüsekammer für die Stadt Luzern. Dort wuchsen sogar Feigen, Trauben und Edelkastanien. Der See speichert tagsüber die Wärme, gibt diese in der Nacht wieder ab und sorgt so für ein ausgeglichenes Klima. Dass die Rigi die Bise abhält, verstärkt das milde Klima zusätzlich.

Launisches Wetter

Das Wetter war schon immer launisch, und dies hat sich in den vergangenen Jahrzehnten noch verstärkt. Zudem wird es immer früher Frühling. Die längste phänologische Messreihe der Schweiz beobachtet seit 1808 den Blattaustrieb von Rosskastanien in Genf. Diese zeigt, dass sich die Blattknospen bei Messbeginn vor 200 Jahren meist im April öffneten. In jüngster Zeit ist es jedoch oft schon im Februar oder März so weit. Auch ein Kirschbaum in Liestal, der seit 1894 beobachtet wird, blüht seit den 1990er-Jahren früher als je zuvor.

Kalendarisch unabhängige Pflanzen

Februar, März oder April? Die Pflanze fragt nicht nach Monatsnamen, für sie ist vor allem die Temperatur relevant. Somit ist die «Aussaat im März» eigentlich eine Metapher. Die Monatsangabe auf der Samentüte beschreibt lediglich einen Zustand, bei dem eine Bodentemperatur von 5 bis 6 Grad herrscht. Bei dieser Temperatur blühen der Huflattich, die ersten Gänseblümchen, Leberblümchen und Veilchen. Die Natur zeigt den Ist-Zustand folglich zuverlässiger an als ein Blick auf den Kalender. Die Natur gibt vor, ob die Zeit der Aussaat für ein bestimmtes Gemüse gekommen ist. Das Praktische daran: Den Huflattich kümmert es nicht, ob er in der Nordschweiz, im Wallis oder mitten in Bern steht. Er fragt weder nach dem Kalendermonat noch nach dem Klimawandel. Er blüht einfach, sobald der Boden 6 Grad warm ist. Zuverlässig, Jahr für Jahr.

Zehn phänologische Jahreszeiten

Weil auf Kalenderangaben aus gärtnerischen Gesichtspunkten wenig Verlass ist, tut man gut daran, sich am phänologischen Kalender zu orientieren. Dieser hat anstelle der gewohnten vier Jahreszeiten ganze zehn. Diese beginnen und enden nicht an einem bestimmten Kalendertag, sondern werden konkreten Ereignissen in der Pflanzenwelt zugeordnet. Dabei orientiert man sich an sogenannten Zeigerpflanzen, die sehr zuverlässig sind. Sie «spüren» genau, wann die Zeit gekommen ist zu blühen, zu fruchten oder die Blätter fallen zu lassen. Im «Phänologischen Handbuch» (siehe Buchtipp links) wird zu jeder der zehn phänologischen Jahreszeiten die passende Zeigerpflanze und ihre Begleiterinnen vorgestellt.

Mythos Eisheilige

Die Bauernregel mit den Eisheiligen stammt vermutlich aus dem Mittelalter. Noch heute orientiert sich das Gros der Gärtnernden an den Eisheiligen und setzt Tomaten, Gurken und andere wärmeliebende Pflanzen erst danach ins Freie. Denn angeblich ist erst nach den Eisheiligen (11. bis 15. Mai) nicht mehr mit Frost zu rechnen. Langjährige Messreihen von Meteo Schweiz belegen jedoch, dass es sich dabei um einen Mythos handelt. In der Messstation Payerne, 400 Meter über Meer gelegen, tritt Bodenfrost im langjährigen Durchschnitt nur bis Mitte April regelmässig auf. Vom 1. bis 25. Mai kommt es dort höchstens in einem von zehn Jahren zu Bodenfrost. Gleiches wurde auch in anderen Messstationen festgestellt. Wer auf der ganz sicheren Seite sein möchte, der wartet aber mit dem Auspflanzen von Tomaten & Co. trotzdem, bis der Holunder blüht. Denn dieser läutet den Frühsommer ein.

Die Wahl der Sorte

Ist der richtige Aussaat- oder Pflanzzeitpunkt gefunden, gilt es, die richtigen Sorten zu verwenden. Denn von vielen Gemüsearten gibt es spezielle Züchtungen für verschiedene Jahreszeiten. So sind die einen Lauchsorten prädestiniert dafür, ganz früh im Jahr ausgesät und schon im Sommer geerntet zu werden, während andere problemlos mit Frost zurechtkommen und entsprechend als Winterlauch taugen. Die einen Kopfsalate kommen mit Spätfrösten gut zurecht, während andere der sommerlichen Hitze trotzen, ohne gleich in Blüte zu gehen. Ähnliche Beispiele gibt es für zahlreiche weitere Gemüsearten.

Text: Nicole Egloff, Gartenmagazin Pflanzenfreund; Illustrationen: bunterhund.ch

Zeigerpflanzen spüren genau, wann die Zeit gekommen ist zu blühen, zu fruchten oder die Blätter fallen zu lassen.

Die Zeigerpflanzen des Winters

Im Winter passiert in der Pflanzenwelt wenig, und es herrscht eine umfassende Vegetationsruhe. Die Lärchen haben schon längst ihre Nadeln verloren und die Laubbäume sind immer noch kahl.

Das Ende des Winters zeigt neben der Christrose auch die blühende Zaubernuss an. Und wer ganz genau hinschaut, entdeckt an wärmeren Tagen Honigbienen, die Misteln umschwärmen und mit dicken Pollenhöschen von dannen ziehen. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass auch die Mistel blüht. Der Hasel blüht erst nach einem Kältereiz. Kommt dieser schon im Dezember und ist es dann wieder wärmer, beginnt die Blüte und läutet den Vorfrühling ein.

Buchtipp: Phänologisches Handbuch

Phänologisches Handbuch. Mit Pflanzen und Tieren durch die zehn Jahreszeiten.

86 Seiten, Softcover mit Fadenheftung und offenem Rücken, Format 148 x 210 mm.

Erschienen im Pflanzenfreund Verlag.Fr. 29.90 plus Versandkosten. Bestellen unter: pflanzenfreund.ch/handbuch