Wildtiere

Unsere wilden Nachbarn: Igel im Garten

von Dr. sc. nat. Samuel Furrer

Geschäftsführer Fachbereich und Fachstelle Wildtiere, Schweizer Tierschutz STS

8000 Stacheln, 25 bis 30 Zentimeter lang, 1,5 Kilogramm schwer, Lebenserwartung bis acht Jahre. Dies ist der kurze Steckbrief eines Schweizer Igels. Allerdings ist festzustellen, dass die wenigsten Igel das Erwachsenenalter überhaupt erreichen. Vier von fünf Jungtieren überleben den ersten Winter nicht.

Gründe dafür gibt es viele. So spielen der Lebensraumverlust und die Fragmentierung des Lebensraums eine Rolle. Auch der Einsatz von Pestiziden schadet den Wirbellosen und hat damit einen direkten negativen Effekt auf die Nahrungsgrundlage des insektenfressenden Igels. Weiter fordert vor allem der Strassenverkehr unzählige Opfer, und auch Fallen wie Baugruben und Lichtschächte, ungenügend kontrollierte Zäune und Netze oder Gartengeräte wie Motorsense und Fadenmäher bergen ein hohes Gefahrenpotenzial.

Winterschlaf in den kalten und nahrungsarmen Monaten

Von November bis März oder April melden sich die Igel ab. Sie ziehen sich zurück in ihr selbst gebautes Laubnest. Dabei reduzieren sie ihren Stoffwechsel, und ihre Körpertemperatur fällt auf wenige Grad Celsius ab. Sie atmen nur noch fünf Mal pro Minute, und ihr Herz schlägt zehn Mal in der Minute. Auch wenn sich die Igel während des Winterschlafes im Energiesparmodus befinden, verlieren sie trotzdem rund 15 Prozent an Körpergewicht. Es ist deshalb zentral, dass sich die Tiere im Herbst Reserven anfressen können. Jungtiere benötigen ein Mindestgewicht von rund 500 Gramm, um mit guten Chancen durch den Winter zu kommen. Sind die Tiere zu leicht, brauchen sie unsere Hilfe.

Im Frühling werden die Männchen zu Langstreckenläufern

Nach fast sechs Monaten Schlaf geht es für die erwachsenen Igel Anfang April ziemlich rasant über in den «Vollgasmodus» Fortpflanzung. In dieser Zeit legen manche Männchen jede Nacht Distanzen von bis zu fünf Kilometern zurück und weiten ihre Aktionsräume auf über 100 Hektare aus. Gerade auch in dieser Phase ist ein hindernisfreies Durchkommen in den Streifgebieten eminent wichtig. Gartenzäune, Netze und hohe Absätze müssen vermieden oder für Igel durchgängig gemacht werden.

Die Aktionsräume der Männchen beinhalten oft Reviere mehrerer Weibchen, denen die nächtlichen Besuche gelten. Man kann sich sicherlich vorstellen, dass Stacheln bei der Paarung etwas hinderlich sein können. Aber die Natur hat vorgesorgt. Paarungsbereite Weibchen legen dabei ihre Stacheln am Rücken an den Körper und drücken den Bauch auf den Boden, um die Männchen nicht zu verletzen. Nach 35 Tagen werden im Schnitt vier bis fünf Jungtiere geboren, bei uns meist im Zeitraum von Anfang Juni bis Ende August. Jungigel sind Nesthocker, sie verlassen ihr Nest erst mit drei bis vier Wochen zum ersten Mal. Im Alter von zwei Monaten sind sie selbstständig und müssen sich möglichst gut auf den kommenden Winter vorbereiten.

Wird der Igel vom Landbewohner zum Städter …

Offene Laubwälder, Heckenlandschaften und feuchtes Grasland gelten als ursprünglicher Lebensraum des Braunbrustigels. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft wird der Igel aus den landwirtschaftlichen Flächen gedrängt. Auch Gebiete mit sehr hoher Dachsdichte sind für Igel nicht günstig, da Dachse zu den wenigen natürlichen Feinden zählen. Offensichtlich bieten menschliche Siedlungen mit hohem Grünflächenanteil und nutzbaren Kleinstrukturen dem Igel alternative Lebensräume von oft hoher Qualität.

So werden Igel mittlerweile tatsächlich vorwiegend ums Haus herum angetroffen. Gründe dafür sind unter anderem das reiche Nahrungsangebot, die gute Strukturierung und das Angebot geeigneter Tagesschlafplätze sowie Überwinterungsmöglichkeiten. Zudem ist die Präsenz potenzieller Prädatoren (lat. praedatio, Beutemachen, Plündern, Rauben) oft tief.

... oder wird er auch dort wieder verdrängt?

Leider haben Igel aber auch im von ihnen neu besiedelten Lebensraum zu kämpfen. Eine aktuelle Studie belegt, dass in der Stadt Zürich die Igelpopulation in den letzten 25 Jahren um fast die Hälfte geschrumpft ist und die Verbreitung der Igel ebenfalls abgenommen hat. Das ist bedenklich. Wir alle, die Zugang zu Gärten und Grünflächen haben, können mit einer entsprechenden Umgebungsgestaltung einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Lebensqualität der tierischen Nutzer dieser Habitate leisten, eben auch der Igel. In landwirtschaftlich genutzten Gebieten sollten Vernetzungsstrukturen, Hecken und Waldrandbereiche gefördert werden. Gleichzeitig ist der Einsatz von Giftstoffen und Düngern massiv zu reduzieren.

Auch wenn die aktuellen Zahlen zu den Igelbeständen gesamtschweizerisch keine klare Aussage zur Bestandesentwicklung der Igel zulassen, deuten sie doch stark darauf hin, dass Igel durch menschliche Tätigkeiten immer stärker unter Druck geraten. Diesen Trend gilt es zu stoppen – und da sind wir alle gefragt.

Mehr zum Thema

Der Schweizer Tierschutz STS ist die grösste nationale Organisation für Tierschutz und Tierwohl in der Schweiz. Zum Thema Wildtiere hat er Merkblätter veröffentlicht, die darüber informieren, wie wir die Umgebung und den Garten rund ums Haus so gestalten können, dass sich Wildtiere wohlfühlen. Beide Merkblätter können kostenlos auf der Website des Schweizer Tierschutzes STS heruntergeladen werden:

Merkblatt «Igel kennen, Igel schützen

Merkblatt «Tierfreundliche Umgebungsgestaltung rund ums Haus und im Garten»

Weitere Informationen zum Thema Igel und Wildtiere in Gefahr:

tierschutz.com/wildtiere-in-gefahr/

wildenachbarn.ch

pro-igel.ch