Ein fachgerechter Baumschnitt fasziniert, da durch das gekonnte Entfernen von Ästen oder gar Kronenteilen am Ende etwas noch Schöneres entsteht und die Entwicklung des Baumes damit gefördert wird. Die Tätigkeit ist beinahe mit der eines Bildhauers zu vergleichen: Von einem Steinblock entfernt er genau jene Teile, die nicht der Gestalt entsprechen, die er für das vollendete Werk vor seinem geistigen Auge hat. Ein Meister erschafft so aus einem unförmigen Stein eine beeindruckende Skulptur. Jedoch kann der Bildhauer nicht jedem Findling eine beliebige Form geben – er muss die Gesteinsart kennen und den Felsblock entsprechend seiner individuellen Gegebenheiten bearbeiten. Auch für den Baumschnitt ist das Wissen um die jeweilige Gattung und deren Eigenheiten grundlegende Voraussetzung. Wie der Bildhauer den Stein muss der Gärtner das Wesen des Baumes verstehen, um dann lenkend die Schere ansetzen zu können. Ein Rückschnitt ist stets zukunftsgerichtet – denn das Lebewesen wächst anschliessend weiter und reagiert auf den menschlichen Eingriff. Dank umsichtiger Wahrnehmung der Wachstumsbedingungen und jahrelanger Erfahrung kann die zukünftige Entwicklung des Individuums abgeschätzt und der Baum folgerichtig gezielt geschnitten werden.
Warum schneiden?
Die Gründe für einen Baumschnitt sind vielfältig. Beispielsweise hat man bei Obstbäumen klar Fruchtansatz und Ertrag im Blick. In Obstplantagen werden die Bäume bewusst niedrig gehalten, um die Ernte zu vereinfachen. Bei Zierbäumen zielt der Schnitt meist auf eine ansprechende Form ab – einen malerischen Habitus. Der Baum selbst hat kein ästhetisches Empfinden – er versucht einfach, möglichst viel Licht einzufangen, so lange wie möglich zu leben und sich fortzupflanzen.
Es kommt immer wieder vor, dass sich Äste überkreuzen und bei Windbewegungen aneinander reiben. Solche Stellen sollten möglichst früh entfernt werden. Je länger der Schnitt hinausgezögert wird, umso grösser werden die beiden Äste, von denen schlussendlich ja doch einer weichen muss. Zudem sind Bäume ständigen Umwelteinflüssen und Wetterkapriolen ausgesetzt. Mal brechen durch einen Sturm Äste heraus, mal sind Schneedruckschäden die Ursache für gewichtige Veränderungen. Zwar gleicht der Baum solche Verluste in den Folgejahren aus, und es entstehen ausdrucksstarke Charakterexemplare. Im heimischen Garten oder auf der Terrasse ist es aber sinnvoll, beschädigte Teile zu entfernen und die weitere Entwicklung des Baumes in die gewünschten Bahnen zu leiten.
Wann schneiden?
Für viele Baumarten ist der häufig mitten im Winter vorgenommene Rückschnitt nicht ideal. Wird im laublosen Zustand geschnitten, hat der Baum keine Chance, die entstehenden Wunden zu schliessen – er produziert keine Assimilate (Stärke), sondern schläft quasi. Pilzkrankheiten und Mikroorganismen ist somit Tür und Tor geöffnet. Schneidet man hingegen kurz vor dem Austrieb oder im Laub, kann der Baum reagieren und damit beginnen, die Schnittstellen zu überwallen.
Auf Terrassen werden Kleinbäume wie die Japanischen Fächerahorne häufig in Gefässe gepflanzt. Hier ist der Schnitt im Sommerhalbjahr ideal. Zwar braucht es ein geschultes Gärtnerauge, da sich der Kronenaufbau im Blätterkleid versteckt. Der sommerliche Schnitt reduziert aber die Laubmasse. Das ist bei Gefässpflanzen durchaus erwünscht, um das Wachstum zu verlangsamen. Werden dann viele kleine Schnitte durchgeführt, anstatt grosse Äste stark zurückzunehmen, fällt die Wuchsreaktion weniger heftig aus. So kann beispielsweise ein Acer palmatum durch gezielte Eingriffe etwa im 2-Jahres-Rhythmus über viele Jahre hinweg mit einer ansprechenden Schirmform glänzen.
Wo schneiden?
Grundsätzlich wird an Verzweigungen geschnitten. Der Baum hat so die Möglichkeit, mit der in den Blättern des verbleibenden Astes gebildeten Stärke die Wunde zu verschliessen. Sieht man sich die Stelle zwischen zwei Ästen genau an, entdeckt man den Astring. Der faltenartige Übergang sollte beim Schnitt intakt bleiben, damit der Wundverschluss gefördert wird. Verzweigungen entstehen immer nur an den Blattansätzen (Nodien) eines Triebes, da sich in den dazwischenliegenden Internodien keine teilbaren Zellen befinden. Schneidet man also nicht unmittelbar in einer Verzweigung, bleiben Aststummel stehen, die absterben und gerne von Pilzen befallen werden. Muss ein stärkerer Ast entfernt werden als jener, der stehen bleibt, spricht man vom «Ableiten». Hier ist darauf zu achten, dass der verbleibende Ast mindestens einen Drittel des Durchmessers des entfernten Astes aufweist.
Wie schneiden?
Am wichtigsten ist scharfes Schneidwerkzeug. Scheren mit Gegenklingen sind den Ambossscheren mit einer scharfen Klinge und einer flachen Metallgegenseite (dem Amboss) vorzuziehen. Gegenklingen verursachen weniger Quetschungen – das Kambium unter der Rinde bleibt intakt und der Wundverschluss wird gefördert. Auch die Baumsäge sollte scharf sein, damit sie saubere Wundränder hinterlässt.
Ein starker Ast mit viel Laubmasse wird in zwei Schritten geschnitten: Zuerst etwa 30 cm von der Verzweigung entfernt – anschliessend präzise am Astring. So wird verhindert, dass der schwere Ast beim Schneiden nach unten knickt und die Wundränder ausreissen. Grundsätzlich sollte die Laubmasse eines Baumes um nicht mehr als einen Drittel reduziert werden.
Der Baumschnitt ist ein komplexes Unterfangen, das aber sowohl in der Ausführung als auch im Ergebnis sehr viel Freude bereiten kann. Wer sich selber an seine Terrassenbäume heranwagen will, sollte sich intensiv mit der Thematik befassen und tiefer in die Materie einsteigen. Schliesslich wird man auch nicht von heute auf morgen Bildhauer.
Ein Acer palmatum kann durch gezielte Eingriffe im 2-Jahres-Rhythmus über viele Jahre hinweg mit einer ansprechenden Schirmform glänzen.
Baumästhetik und Kronenaufbau
Wenn sich Bäume unter optimalen Bedingungen und ohne Konkurrenzdruck entwickeln dürfen, bilden sie wunderschöne, gleichmässige Kronen aus. Betrachtet man beispielsweise eine laublose, frei gewachsene Linde, die ungestört und mit viel Platz zu einem grossen Baum geworden ist, wird das Prinzip des natürlichen Kronenaufbaus deutlich: Alle Äste gleicher Ordnung ergeben zusammen den Stammdurchmesser. Oder anders ausgedrückt: Alle Äste mit dem gleichen Durchmesser beziehungsweise mit mehr oder minder dem gleichen Alter ergeben zusammengenommen den gleichen Querschnitt – also auch jenen des Stammes.
Vor über 500 Jahren ist dieses Phänomen bereits Leonardo da Vinci aufgefallen. Das Universalgenie hat das Phänomen bereits damals in einer mathematischen Formel ausgedrückt. Dank Computersimulationen weiss man heute, dass der Baum aufgrund dieses Prinzips bei minimalem Materialeinsatz am besten gegen Windbeanspruchung geschützt ist.
Terrassengestaltung
Weitere Infos zum Thema Terrassengestaltung mit laubabwerfenden Bäumen sowie Hilfe von Fachleuten finden Sie unter: silvedes.ch