Architektur

Dachstockausbau an Berner Gerechtigkeitsgasse: Schöner Wohnen unterm Dach

Der Berner Architekt Bernhard von Erlach baut den Dachstock eines Altstadthauses in der Bundesstadt um. Ihm gelingt eine Verzahnung von Alt und Neu zu einem bestechenden Ganzen.

von Andrea Eschbach

Journalistin, Zürich

Sie ist sicherlich eine der schönsten Gassen der Welt: Die Berner Gerechtigkeitsgasse ist 260 Meter lang und keineswegs eine kleine Gasse, sondern eine der Hauptstrassen in der Altstadt von Bern. Als Unesco-Welterbe geschützt, besticht sie mit ihren Sandsteinbauten aus Mittelalter und Barock sowie den Laubengängen. «Die Bogengänge auf beiden Seiten der Strasse ermöglichen es, selbst bei starkem Regen durch die Stadt zu gehen, ohne nass zu werden», schrieb schon Albert Einstein.

So einheitlich die Altstadt als Gesamtes daherkommt, so divers ist der Wohnraum: Es gibt Häuser mit zwei bis neun Fensterachsen, Häuser mit Hinterhäusern und solche, die von einer Gasse zur anderen reichen. In einem dieser Häuser wünschte sich eine fünfköpfige Familie, die bereits den vierten Stock bewohnt, mehr Licht und mehr Raum. Beides versprach ein Umbau des Dachstocks, der ursprünglich ein Abstellplatz sowie Ort kleiner Mansardenzimmer war und seit den 1990er-Jahren bereits als Wohnraum genutzt wurde. Schnell war der Wunsch-Architekt gefunden, Bernhard von Erlach, ein Freund der Familie. «Uns hat seine Expertise und sein gutes Auge für Farben und Formen in den Altstadthäusern von Bern beeindruckt», erklärt die Bauherrin. «Er erfasst die Eigenschaften des Raums und den Bedarf der Bewohner und versteht seine Arbeit darin, diese in Einklang zu bringen.» So hatte der Berner Architekt beispielweise bereits das Zeerlederhaus in der Altstadt von Bern umgebaut.

Komplementärkontraste prägen den Raum

Bernhard von Erlach setzte beim Ausbau des Estrichs auf die Verzahnung von Alt und Neu. So bewahrte er die Bodenplatten aus Keramik. «Sie finden sich in vielen Dachböden der Altstadt, da sie als Art Feuerschutz dafür sorgten, dass ein Feuer nicht von Dachboden zu Dachboden überspringt.» Die Platten in unregelmässigen Braun- und Terrakottatönen kontrastieren nun aufs Schönste mit den Farben der Wände: Zur Treppe hin sind die Ausfachungen und die Riegelkonstruktion in Blau – dem tiefblauen Pariser Blau. Die Giebelwände und Stützbalken selbst erhellen mit weissblauer Lackierung aus Naturpigmenten den Raum. Kleine lukenartige, fast maritim anmutende Fenster, die zuvor mattiert waren, bringen mit klarem Glas nun mehr Licht in den Raum. Ein bestehendes Lüftungsrohr aus den unteren Etagen, das zuvor hinter einer Küchenzeile verborgen war, wurde nun leuchtendrot gestrichen und weist markant auf seine Funktion hin. «Dieser Raum hat nie als Repräsentationsraum gedient», sagt von Erlach, «das hat meine Materialwahl bestimmt.»

Verschiedene Inseln prägen den rund 70 Quadratmeter grossen Raum. So kann die Familie zusammen sein, aber dennoch jeder eine Ecke auch für sich finden. Ein grosser Holztisch unter drei goldfarbenen Spokes-Leuchten von Foscarini lädt zum geselligen Speisen miteinander ein, ein Sessel auf einem Teppich wartet auf eine Lesestunde. Eine besonders schöne Rückzugsecke bietet der Platz unter dem zum Balkon hin gewandten Giebel. Niedrige Sitzbänke aus einem geölten Holzwerkstoff in einem Mooston mit graublauen Sitzpolstern rahmen den Ausgang zur Dachterrasse, die hohen, original erhaltenen Sprossenfenster lassen den Blick über die Dachlandschaft der Altstadt schweifen. Hier lässt es sich gut mit einem Kaffee in der Hand «chillen». Eine Katzenklappe verschafft auch der Familienkatze Zugang zum Balkon.

Grün wie Sitzecke und Wand ist auch die Küchenzeile. Hinter der freistehenden Kochinsel mit Arbeitsplatte aus Beton verbirgt sich hinter Falttüren eine Front für die Küchengeräte. Als Kontrast zur modernen Küche präsentiert sich ein kleiner schwarzer Kachelofen: «Er stand zuvor etwas verloren im Raum, nun haben wir ihn nah an der Küche platziert.»

Massgefertigte Schreinerarbeiten

Über der Küchenzeile schwebt eine Galerie im Kleinformat, sie ist wie die Küche massgefertigt von der Schreinerei Baumann + Eggimann. Sie wirkt wie eine Raumskulptur und verlangte grosses handwerkliches Können, ist der Boden doch nirgendwo gerade. Über eine schmale Samba-Treppe gelangt man nach oben, wo ein gemütliches Daybed auf einen wartet. Es besticht mit lila Samt und orangefarbenen Borten, ein Eigenentwurf des Architekten.

In den vierten Stock mit seinem mittelalterlichen Ambiente führt eine Holztreppe mit einem schwarzen Metallgeländer, dessen Handlauf in Rot glänzt. Die Treppe aus den 1990er-Jahren werten nun dunkelblau lackierte Trittstufen auf. Tritt man unten in den dunklen Gang ein, zieht es einen hoch ans Licht – ein gewollter Effekt. «Mir gefällt es immer wieder, an einen Ort zu kommen, an dem schon lange gelebt wurde», erklärt von Erlach. «Ich kann diesem Ort eine weitere Zeitschicht hinzufügen.» Die neue Zeitschicht wird von der Bauherrschaft sehr geschätzt: «Der Ausbau passt zu uns, er ist offen, gemütlich, aber auch cool – und wir geniessen die schönen Farben jeden Tag.»

«Mir gefällt es immer wieder, an einen Ort zu kommen, an dem schon lange gelebt wurde. Ich kann diesem Ort eine weitere Zeitschicht hinzufügen.»

 

Bernhard von Erlach, Architekt

Dachstockausbau

Weitere Infos und Fotos des Dachstockausbaus finden Sie auf der Website des Architekten Bernhard von Erlach unter:

bernhardvonerlach.ch