Unterwegs

Nussöl in jahrhundertealter Tradition

Ölmühle Im Kanton Waadt wird Baumnussöl noch nach Methoden aus dem ausgehenden Mittelalter gewonnen. Aus sanft angerösteten Nüssen wird ein Öl mit ganz eigenem Aroma gewonnen. Ein Besuch vor Ort.

von Alexandra von Ascheraden

Journalistin

Den Duft nach leicht gerösteten Baumnüssen nimmt man unmittelbar beim Betreten des Raums wahr. Er nimmt die Besucherinnen und Besucher des kleinen Fabrikladens in Empfang und hüllt sie ein. Der Laden ist eine Art Wintergarten, der an das unscheinbare rötlich gestrichene Mühlengebäude von Sévery (VD) angebaut ist. Der Blick gleitet über Flaschen mit Ölen in einem Farbspektrum von grünlich bis golden, über Gläser mit Spezialitäten aus der Region und bleibt am eindrücklich grossen Mühlrad hängen, das die hintere Wand des Verkaufsraums füllt. Das Rad dreht schon lange nicht mehr und dient nur noch als Erinnerung an die Tradition der Mühle, die seit 1598 die Nüsse aus der ganzen Region zu Öl presst.

Heute ist sie die letzte verbliebene handwerklich betriebene Mühle, die in der Schweiz ganzjährig produziert. Jahrhundertelang wurde das Mühlrad über einen drei Kilometer langen Kanal mit dem Wasser der La Morges angetrieben, die nicht weit von hier am Fusse des Jura im Städtchen Morges in den Genfersee fliesst. 1922 wurde ein erster Benzinmotor eingebaut, und 1971 wurde die Mühle ganz vom Wasser getrennt. Seitdem wird sie mit Strom betrieben.

In sechster Generation

Mühlenbesitzer Jean-Luc Bovey steht in einer ansehnlichen Tradition. Die Mühle gehört seiner Familie seit 1840. Er betreibt sie in sechster Generation. Seine beiden erwachsenen Töchter steigen bereits in den Betrieb ein. Bovey erklärt: «Wir verarbeiten 60 Tonnen Baumnusskerne im Jahr. Diese gewinnen wir aus 180 Tonnen ganzer Nüsse, die vor Ort mechanisch geschält werden. Aus den Kernen produzieren wir etwa 13 000 Liter Öl. Die Schalen nutzen wir zur Wärmegewinnung.»

Die Mühle kann nicht nur Baumnüsse verarbeiten. «Wir pressen auch Aprikosenkerne für einen Kunden, der daraus Kosmetik herstellt. Ausserdem Sonnenblumenkerne, Haselnüsse, Raps, Leinsamen, Mandeln und Erdnüsse», so Bovey. Sein Vater mahlte nebenbei noch Mehl und hielt Vieh.

Bovey hat den Betrieb umgekrempelt, Restaurant und Verkaufsladen aufgebaut und setzt auf die Slow-Food-Welle, zu der das handwerklich gepresste Baumnussöl perfekt passt. Das Öl ist die Spezialität der Mühle, und seinen speziellen Geschmack findet man nur hier. Anders als in der industriellen Produktion werden die Baumnüsse vor dem Pressen angeröstet. Die entstehenden Röstaromen verleihen dem Öl einen ganz eigenen Geschmack. «Ganz nebenbei bekommen wir auch mehr Öl aus den Kernen, da sich beim Rösten das Fett verflüssigt und sich besser löst», räumt Bovey lächelnd ein.

Die Baumnüsse stammen alle aus der Schweiz, 85 Prozent aus dem Waadtland. So erfüllt das Öl die Bedingung für das Label «Produit du Terroir». Früher mussten die Kunden die Nüsse zu Hause selbst knacken und brachten nur die Kerne vorbei. Seit einem Dutzend Jahren gibt es in einem angrenzenden Gebäude eine Maschine, die diese Arbeit auf Wunsch abnimmt. Bovey: «Wichtig ist vor allem, dass das Häutchen, das zwischen den beiden Hälften des Nusskerns liegt, vollständig entfernt wird. Sonst schmeckt das Öl bitter und wird schnell ranzig. Daher kontrollieren wir die maschinell geknackten Nüsse alle noch von Hand.»

Die Produktion befindet sich in einem Raum, der direkt an den Laden angrenzt. Aus ihm quillt der heimelig warme Ölduft, der den Raum durchdringt. Hier können Kunden den Prozess verfolgen, der sich alle halbe Stunde aufs Neue abspielt. Ölmeister Cédric Morlet zerkleinert die Nüsse, röstet sie, presst das Öl und füllt es ab, bevor sich die Handgriffe für die nächste Charge wiederholen. Wir dürfen ihm bei der Produktion zusehen.

Zwischen Fleischwolf und Sandsteinofen

Zuerst kippt er Nusskerne aus einem Sack in einen riesigen herkömmlichen Fleischwolf, wie er in Metzgereien zum Einsatz kommt. «Das Teil ist bestimmt 100 Jahre alt», sagt er. Beim Mahlen werden aus den Nusskernen braune Röllchen so dick wie Makkaroni, wie man sie von Tierfutter kennt. «Das Mahlen erhöht die Ausbeute an Öl», erklärt er. Er schaufelt einen Eisentopf mit der Nussmasse voll und stellt ihn in die perfekt passende Vertiefung eines mittelalterlich wirkenden schwarzen Sandsteinofens. «Die Frau, die den Job vor mir gemacht hat, hat diesen Ofen tatsächlich noch mit Holz beheizt. Mittlerweile wird er mit Gas betrieben. Er ist bestimmt 150 Jahre alt. Er war schon im Inventar, als die Familie Bovey die Mühle übernommen hat», erklärt er, während er ein grosses Glas Wasser hinzufügt, damit die Masse nicht zu leicht anbrennt, den Topf zudeckt und das Rührwerk in Betrieb setzt. «In dem Topf sind fünf Kilo Nusskerne. Sie ergeben später drei Liter Öl. Es sei denn, ich lasse sie anbrennen. Das ist mir in all der Zeit genau zwei Mal passiert. Und immer wenn ich Leute hier hatte, denen ich den Prozess erklärte, so dass ich mich nicht genug auf die Produktion konzentrieren konnte», räumt Morlet verschmitzt ein.

Nach einer Viertelstunde wird der Dampf, der aus dem Loch für den Rührstab dringt, zusehends dichter. Für den Ölmeister ein Zeichen, dass nun die Wasseranteile verdampft sind und der Röstvorgang beginnt. Jetzt braucht es Konzentration. In kurzen Abständen taucht er einen Spatel in die Masse, prüft die Farbe und später die Konsistenz, indem er etwas Nussmus am senkrecht gehaltenen Spatel herabrutschen lässt. Wenn das Öl auszutreten beginnt, fliesst das Mus schneller, und er weiss, dass er mit dem Pressen beginnen kann. Der Ölmeister schaufelt das Nussmus in die mit Tüchern ausgelegte Pressform und stellt das Ganze unter die hydraulische Presse. 60 Tonnen Druck treiben goldgelbes Öl aus der Masse in einen Edelstahlbehälter. Der zurückbleibende Presskuchen kann zu Nussmehl gemahlen oder als eiweissreiches Tierfutter verkauft werden. Bovey: «Früher assen die Leute diesen Kuchen, so wie wir heute Getreideriegel. Man brach einfach ein Stück ab. Der Ölkuchen ist aber wirklich sehr, sehr hart. So kommen die Leute oft zurück, um ihn doch noch mahlen zu lassen, so dass sie das Mehl für Nusskuchen und Brot verwenden können.»

Moulin de Sévery

Privatleute können ihre eigenen Nüsse zum Pressen vorbeibringen. Es müssen mindestens 15 Kilogramm trocken gelagerter Baumnüsse sein. Das ergibt fünf Kilogramm Nusskerne und ist die Mindestmenge, ab der produziert wird. Wer aus der Deutschschweiz anreist, sollte vorab einen Termin vereinbaren, wenn er beim Pressen zusehen und das Öl direkt am selben Tag nach Hause nehmen will. Die Spezialität der Mühle ist Baumnussöl aus Warmpressung. Sie stellt zudem zehn weitere Öle aus anderen Kernen und Samen in Kaltpressung her. Diese erfolgt maschinell rund um die Uhr.

 

Der Fabrikladen ist von Montag bis Samstag geöffnet, das Restaurant von Dienstag bis Samstag über Mittag und freitags und samstags auch abends. (ava)

moulindesevery.ch