Die Männer kamen damals Winter für Winter aus der ganzen Region an die Küsten der Lofoteninseln. Immer im Winter, wenn die Kabeljauschwärme hier vorbeikamen. Anfang Januar, wenn die Sonne nach der langen Polarnacht erstmals wieder über den Fjord steigt, bricht der Kabeljau von der Barentssee in die Lofoten auf, um zu laichen. Bald füllt er dann die Netze der Norweger.
Im Winter waren die Männer Fischer und ruderten aufs Meer. Nicht alle kamen zurück. Die Winterstürme waren tückisch und unberechenbar. Im kurzen aber intensiven Sommer, in dem die Mitternachtssonne dafür sorgt, dass die Pflanzen schnell wachsen, waren sie Bauern. Es war ein gnadenlos hartes Leben. Und es brauchte beide Berufe, um eine Familie zu ernähren. Jedes der Fischerboote brauchte zahlreiche starke Arme, die ruderten und die vollen Netze einholten.
Zu acht in einem Häuschen
Unterschlupf boten den Fischern die typischen roten Fischerhäuschen, die heute noch überall fotogen entlang der Küste stehen. Solch ein «Rorbu» war damals, als die norwegischen Fischer noch auf einfachen Ruderbooten dem arktischen Winter trotzen mussten, eine wichtige Zuflucht. Ihren Namen haben die Rorbuer von den norwegischen Wörtern «ro», rudern, und «bu», wohnen. Die Fischer mieteten ein Häuschen zu mehreren, um es sich überhaupt leisten zu können.
Häufig sind die Rorbuer heute sorgfältig und mit Liebe zum Detail renoviert und können von Touristen gemietet werden. Wenn jemand etwas davon versteht, wie man auf kleinem Raum ein gemütliches Zuhause schafft, dann die Norweger.
Wir haben uns eine solche Hütte in Svolvær zeigen lassen. Ragnar Palson, der nebenan auch modern umgebaute Hütten vermietet, hat eine so eingerichtet, dass man einen Eindruck davon bekommt, unter welchen Bedingungen die Männer damals hausten. «Die Häuser gehörten dem Eigentümer der Insel. Die Männer bezahlten ihn in Fisch.» Man kann es sich kaum vorstellen, aber in diesem Rorbu wohnten acht Männer. Im Vorderraum lagerten sie ihre Netze. Im Zimmer nebenan kochten sie jeden Abend auf einem winzigen Ofen einen Eintopf aus Fisch und viel Fischleber. «Es war wichtig, möglichst viel Fischleber zu essen», sagt Ragnar, der, wie alle Norweger hier auf den Lofoten, nur mit Vornamen angesprochen werden will. Nachnamen verwendet man bestenfalls, um sich bei einem Geschäftstermin zum ersten Mal vorzustellen. Ragnar also. «Platz war wertvoll. Daher gibt es im selben Raum, in dem der Ofen steht, nur vier Stockbetten. Jeweils zwei Männer teilten sich eines. Sie schliefen mit dem Kopf neben den Füssen des Bettnachbarn.» Es war eng, aber immerhin vor Wetter geschützt und warm. «Wer sich keinen Schlafplatz leisten konnte, schlief unter dem umgedrehten Boot. Es war ein hartes Leben», berichtet Ragnar.
Kabeljau wie zu Wikingerzeiten
Auch wenn heute nur noch die wenigsten Männer Fischer sind – der Himmel hängt an der Küste der Lofoten auch heute noch voller Kabeljau. Riesige Holzgestelle in Form von Satteldächern hängen voll mit dem künftigen Stockfisch. Zwischen März und Juni prägt er das Landschaftsbild der Küsten, auch in der Nähe von Ragnars Hütten.
Ausgenommener Kabeljau wird paarweise an den Schwänzen zusammengebunden und über die Stangen gehängt. Ab März ist das Klima hier oben ideal, um ihn trocknen zu lassen. Spätestens im Juni muss der Stockfisch vom Gestell. Dann kommen die Fliegen. Der gereifte Stockfisch ist dann nicht mehr blass bläulich, sondern gelb wie Tabak, ledrig und hat 80 Prozent seines Gewichts verloren.
Genau so haben es schon die Wikinger gemacht. Der Stockfisch war ihr bedeutendstes Exportgut und versorgte sie auf ihren Seereisen so gut und ausgewogen mit haltbarer Nahrung wie uns heute Konserven. Die langen Seereisen bis nach Amerika wären ohne Stockfisch nicht denkbar gewesen, sagen die Norweger heute über ihre Vorfahren.
Farbe als Statussymbol
Die rote Farbe, die wir als so typisch für diese Häuschen empfinden, hat einen ganz pragmatischen Hintergrund. Man musste das Holz vor den arktischen Winterstürmen schützen. Die billigste Farbe machte man aus dem, was ohnehin im Überfluss da war – Fisch. Eisenoxid, Ocker oder andere färbende Stoffe wurden mit Öl aus Fischleber als Bindemittel vermischt, so dass man eine blutrote Farbe erhielt. Die Farbe zeigte auch den Status der Eigentümer. Wer zeigen wollte, dass er wohlhabend war, liess seine Farbe aus dem teureren Ocker-Pigment oder aus Kupferpigmenten mischen und erhielt so eine gelbliche Farbe. Reiche liessen ihr Haus weiss streichen, der teuersten Farbe, für die man Zink benötigte. Mit zunehmendem Wohlstand der Bevölkerung gingen manche dazu über, die Schauseite mit teurer Farbe zu streichen. Die anderen Wände beliess man meist dunkelrot.
Entschleunigung
Spätestens in den 1960er-Jahren verloren die Rorbuer ihre Bedeutung. Die Fischerboote erhielten Motoren, wurden grösser und grösser und brauchten kaum noch Personal. So rotteten die Häuschen vor sich hin. Bis die ersten Eigentümer auf die Idee kamen, sie für Touristen zu renovieren. Das rettete einen Grossteil des Postkartenklischees der Küste Nordnorwegens, das wir wohl alle vor unserem inneren Auge haben. Rote Holzhäuschen und strahlend blaues Meer gehören einfach dazu.
Wer sich heute die zur Vermietung angebotenen Rorbuer ansieht, vergisst schnell die karge Vergangenheit, aus der sie stammen. Oft mit dem traditionellen isolierenden Grasdach versehen, bieten sie ein angenehmes Raumklima, da beim Umbau meist versucht wird, so viel vom traditionellen Charme des Holzes zu erhalten wie möglich.
Die kleinen Räume sind behaglich eingerichtet, die winzigen Küchen funktional und der Blick aus den Fenstern einfach nur entschleunigend. Sie sind, wie in früheren Zeiten, aufs Meer hin ausgerichtet. Viele Häuser stehen nur an einer Seite auf Land und zum Meer hin auf Stelzen. So konnten die Fischer sie bequem anfahren, ihr Boot vertäuen und die Netze zum Reparieren ins Haus bringen.
Ragnar erzählt: «Wer bei uns ein Haus mietet, muss es für mindestens zwei Tage nehmen. Wir haben festgestellt, dass die Leute viel zu viel in ihren Ferienplan packen. Die Lofoten sind zum Entschleunigen da. Und dieser Effekt stellt sich frühestens ein, wenn man hier auch den zweiten Tag nach einem Strandspaziergang im gemütlichen Sessel sitzt und auf die Wellen schaut.»
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