Die neuen Sitzmöbel

Nehmen Sie Platz!

Die neuen Sitzmöbel Ganz kompakt oder voluminös, im Stil der Siebzigerjahre oder mit Anklängen an die Wiener Moderne: Das sind die schönsten Sitzgelegenheiten der neuen Wohnsaison.

von Andrea Eschbach

Journalistin, Zürich

Dieses Jahr darf es wieder ein wenig üppiger sein. Die Hersteller, das machte ein Rundgang über den Mailänder Salone del Mobile im Juni klar, warten bei Polstermöbeln wieder mit grösseren Dimensionen auf. Wie sich unterschiedliche Module kreativ zu einer Vielzahl an Sitzoasen kombinieren lassen, zeigen beispielsweise Neri&Hu: Ihre Sofas «Blocks» für den österreichischen Hersteller Wittmann wirken als kuschelige Familieninseln in der Wohnwelt ebenso wie als kommunikative Lounge- und Arbeitsmöbel im Objektbereich. Das Designerpaar schätzt zeitgemässe Produkte, die eine Verbindung zu Tradition haben. Ihre Polstermöbelserie nimmt diesen Gestaltungsansatz auf, indem sie organisch und geometrisch zugleich ist. Die bodennahen Module ermöglichen eine grosse Vielfalt an Kombinationen. In einer minimalistischen Linie, die präzise handwerkliche Verarbeitung erfordert, umschliessen Arm- und Rückenlehne die Sitzfläche in einem Bogen. Inspiration für diese Form war die Bogengeometrie, die Josef Hoffmann für seinen «Fauteuil Club» 1910 einsetzte.

Raumgreifend ist auch der neue Entwurf der Brüder Ronan und Erwan Bouroullec aus Paris: Sie präsentieren beim italienischen Hersteller Magis ein Sofa namens «Riace», das skulptural und leicht zugleich ist. Der Name ist Programm: Prägend sind bei diesem Polstermöbel die Armlehnen aus Bronze – in Anlehnung an den Ort Riace in Italien, der für die Funde von zwei spektakulären Bronzefiguren bekannt ist. Grandezza trifft auf Dynamik: Die elegant geschwungene Sitzfläche scheint zwischen dem Bronzegestell zu schweben.

Inspiriert von der Natur

Softe Formen allerorten: Rundum weiche Sofas und Hocker erinnern an Kieselsteine, die zu grossen Arrangements gruppiert werden. Die Designerinnen Sofia Lagerkvist und Anna Lindgren von Front Design gestalteten die Polsterkollektion «Pebble Rubble», die wirkt, als habe Wasser die Poufs, Sessel und Sofa-Module rundgewaschen. «Unser neues System für Moroso ist von Formen aus der Natur inspiriert. Als Kinder in unserer schwedischen Heimat war unser Spielplatz der Wald, und wir stellten uns Felsen, Moos und umgestürzte Bäume als Möbel und Ruheplätze für den Körper vor. Für diese Sitzmöbelkollektion haben wir die Felsen, die wir bei unseren vielen Waldspaziergängen gesehen haben, in 3D gescannt und diese organischen Formen zu Möbeln zusammengestellt», so die Designerinnen.

Für den niederländischen Produzenten Leolux hat die deutsche Designerin Hanne Willmann das modulare Sitzmöbelprogramm «Enna» entworfen, bei dem die Armkissen um die Lehnen gefaltet werden. Das Programm besteht aus einer umfangreichen Palette von Sofas, freistehenden Chaiselongues und einzelnen Elementen, die ganz nach Wunsch zu grosszügigen oder eher kompakten Aufstellungen kombiniert werden können. Kennzeichnend ist das elegante Metallgestell, das die Kissen fest umschliesst und in jeder gewünschten Farbe ausgeführt werden kann.

Hörnchen-Form und Bouclé

Wenig Platz im Raum beanspruchen die neuen Hörnchen-Sofas, die bei einigen Herstellern zu sehen waren. Die gekrümmte Sitzfläche intensiviert bei den kompakten, sanft geschwungenen Möbeln Blickkontakte und Gespräche zwischen den Sitzenden. Bei den Sofas der Kollektion «Sendai» von Inoda+Sveje für den italienischen Hersteller Minotti ruhen die polierten Holzbeine wie schlanke Baumstämme auf dem Boden und tragen die einladend gepolsterte Sitzschale. Bouclé-Stoff verleiht der Oberfläche eine haptische Qualität.

Auch Sessel haben dieses Jahr wieder einen grossen Auftritt: Der einladende Sessel «DS-149» ist mit eleganten Faltenwürfen versehen. Designerin Miriam Amelung vom Kassler Duo Aust & Amelung wollte, dass der Bezug wie ein weicher Überwurf aussieht. Dadurch wirke des Sessel «wie eine wolkige Schale – weich und bequem.» Der drehbare Stuhl kommt am besten frei im Raum stehend zur Geltung. Produziert wird er von Hand in der Manufaktur des Schweizer Herstellers de Sede.

Das österreichische Traditionsunternehmen Wittmann zeigte auf der Messe die Erweiterung der Sitzkollektion «Paradise Bird» von Luca Nichetto. Der neue Lounge Chair mit markantem, geschlossenem Rücken spielt virtuos mit edlen Materialien und einer Formensprache, die von der Wiener Moderne beeinflusst ist.

Der Blick zurück liegt im Trend. Genauer gesagt, der Blick auf die Siebzigerjahre. Die Disco-Ära ist allgegenwärtig – und verdrängt den lange vorherrschenden Midcentury-Style. Der Big Player B&B Italia legte zum 50-Jahr-Jubiläum seinen legendären «Le Bambole»-Sessel von Mario Bellini neu auf. Heute ist das Möbel eine Design-Ikone, im Jahr 1972 widerspiegelte es mit seinen üppigen Formen den Wunsch nach einer informellen Inneneinrichtung. Der solide Metallrahmen im Inneren und die grosszügige Polyurethan-Polsterung boten eine Elastizität und Bequemlichkeit, für die der Sessel 1979 mit dem Compasso d’Oro ausgezeichnet wurde. Nun wurde der Klassiker in einer radikal erneuerten Version neu aufgelegt, ohne dabei seine ursprüngliche ikonische Integrität zu verlieren. Gefragt waren neue Lösungen beim Material – neu kommen recyceltes Polyethylen, Polyurethanschaum und thermoplastische Elastomere, die alle von einer Unterschicht aus recyceltem PET umhüllt sind, zum Einsatz.

Mit der Formensprache der Seventies liebäugelt auch Lorenza Bozzoli. Ihr Sessel «Thumb» für den italienischen Hersteller Fratelli Boffi ist ein Loungesessel mit weichen und geschwungenen Formen. Das grosszügige Gestell besteht aus geschwungenem Mahagoniholz mit Intarsien aus Ahornholz. Das Besondere ist die voluminöse Polsterung der Sitz- und Rückenkissen.

Schwungvoll kommt auch der Sessel «Pilota» von Studio Brichet Ziegler für die deutsche Marke Pulpo daher. Sitzfläche und Rückenlehne aus gewalztem und mit Stoff ummanteltem Metallblech legen sich dynamisch auf die Stuhlbasis, die als Hohlkörper geformt ist.

Fast ein kleines Sofa ist dagegen der «D70», den der gebürtige Meraner Marco Dessí entworfen hat. Der Entwurf für das deutsche Unternehmen Tecta erinnert mit seiner hohen Rückenlehne an eine Koje, die vor dem Rest der Welt abschirmt. Das Zusammenspiel geometrischer Figuren zeichnet das Möbel aus: Das Trapez der Rückenlehne, das Dreieck der Vorderbeine und ein ungewohntes Oval beim Sitz.

Der Sessel «Loop» definiert gebogenes Buchenholz neu. Das Leitmotiv des Entwurfs von India Mahdavi für Gebrüder Thonet Vienna ist der Kreis: Das Holzgestell zeichnet sich durch zwei gebogene Zierelemente aus, die zwei Kreise auf den Armlehnen bilden und das Profil der Rückenlehne mit einem verspielten Spiraleffekt definieren. «Die Manufaktur Gebrüder Thonet Vienna ist die einzige der Welt, die es einem ermöglicht, eine Freihandzeichnung zu übersetzen, indem sie ihr eine hölzerne Materialität in derselben Qualität verleiht,» erklärt die iranisch-französische Designerin.

Rundum weiche Sofas und Hocker erinnern an Steine, die zu grossen Arrangements gruppiert werden.