Wildtiere

Liebling der Berge: das Murmeltier

Wildtiere Murmeltiere sind einfach herzig. In der Familie herrscht strenges Matriarchat. Dafür hält man im Winter eng zusammen. Mehrere Murmeltiergenerationen kuscheln sich aneinander. Nur so haben es alle warm genug.

von Alexandra von Ascheraden

Journalistin

Sein Zuhause sind die Grassteppen oberhalb der Baumgrenze bis hinauf auf 3200 Meter. Es sei denn, eine Lawine hat eine baumlose Schneise geschaffen oder der Mensch eine grössere Fläche gerodet. Dann ist das Murmeltier nicht heikel und gräbt auch mal einen Bau in tieferen Regionen. Es ist allerdings schlecht an Hitze angepasst und hat kaum Schweissdrüsen. Daher kommen Lagen unter 900 Metern nicht infrage.

Die «Mürmentli», wie man sie im Wallis liebevoll nennt, sind erstaunlich wendig. In ihren Bauten bewegen sie sich geschickt. Sie kommen nur zum Sonnenbaden oder zum Fressen heraus. Denn «oberirdisch» können Murmeltiere ihren Feinden kaum je über längere Strecken davongaloppieren. Schutz finden sie nur in ihrem Bau mit seinen zahlreichen Fluchttunneln für Notfälle. Wozu unnötig Risiken eingehen?

Die Kleinsten in die Mitte

In den kalten Hochgebirgswintern überleben Murmeltiere nur, weil sie zusammenhalten. Oder besser: Weil sie sich während des Winterschlafs im Kessel des Baus gegenseitig wärmen. Die jüngsten schlummern dabei in der Mitte des Murmeltierknäuels. Je mehr Tiere aneinandergekuschelt zusammen überwintern, desto höher sind die Überlebenschancen. Wenn die Tage kälter werden, verschliessen die Nager die Eingänge ihres Baus mit Erde und Heu. Sie drosseln ihren Stoffwechsel herunter und senken die Körpertemperatur von 37,7 Grad Celsius auf wenige Grad über Null. Ihr Herz schlägt nur noch drei bis vier Mal pro Minute. Alle paar Wochen wachen die Tiere auf, fahren die Körpertemperatur wieder auf etwa 34 Grad und schlafen nach einem Tag wieder ein.

Bis zu 20 Murmeltiere bewohnen den Bau zusammen. Da sind einmal die Elterntiere, das dominante Weibchen und das dominante Männchen. Dazu kommen die Nachkommen verschiedener Jahre. Und manchmal werden sogar nicht verwandte Murmeltiere toleriert. Nachwuchs bekommt nur das dominante Weibchen. Und auch das nur, wenn es überdurchschnittlich gut genährt ist. Anderthalb Kilo Kräuter frisst so ein Tier am Tag. Am liebsten haben die Murmelis nährstoffreiche Pflanzenteile wie Schösslinge, junge Triebe, Blätter und Knospen. Gräser enthalten weniger Proteine und werden weniger gern gefressen. Im Frühling graben Murmeltiere auch unterirdische Pflanzenteile aus, falls über der Erde noch nicht genug wächst.

Findet das dominante Weibchen im Sommer zu wenig Nahrung, bekommt es im folgenden Jahr keine Jungen. Die Paarung, die sogenannte Ranz, erfolgt im April kurz nach Ende des Winterschlafs, wenn es draussen noch kaum Nahrung gibt. Daher muss das Weibchen während seiner gut einen Monat dauernden Trächtigkeit auch von Fettreserven des Vorjahres zehren. Hat es davon nicht genug, wird es eng. Nach der Geburt säugt und wärmt es die Jungen noch vier Wochen lang.

Im Schnitt bekommt das Weibchen vier Junge aufs Mal. Sie sind anfangs nackt und blind und wiegen nur 30 Gramm. Zum Vergleich: Ein ausgewachsenes Murmeltier kann bis zu sieben Kilo wiegen. Die Kleinen haben also eine Menge vor.

Daher ist es von Vorteil, dass die Jungen früh im Jahr geboren werden, obwohl das für das Muttertier viel Stress bedeutet. So haben sie mehr Zeit, sich Speck für den ersten Winter anzufressen. Ende Juni beginnen sie den Bau zu verlassen und selbst Nahrung zu suchen.

Auch rangniedere Weibchen paaren sich manchmal. Teils bilden sich auch Embryonen aus. Diese sterben allerdings stressbedingt ab, da das dominante Weibchen mit aggressivem Verhalten dafür sorgt, dass die weibliche Konkurrenz nicht zur Ruhe kommt. Murmeltiere sind erst im dritten Jahr voll ausgewachsen. Erst dann können die jüngeren Weibchen den elterlichen Bau verlassen, um eine eigene Familie zu gründen. Das ist die heikelste Phase ihres Lebens, denn den ersten Winter ohne die wärmende Herkunftsfamilie verbringen sie zu zweit mit ihrem hoffentlich bis dahin gefundenen Partner, den zweiten mit den ersten Jungen, die sie wärmen müssen. Erst im dritten Winter, wenn die Jungen ebenfalls wärmen helfen, gibt es genug Tiere, um mit weniger Aufwand die nötige Überlebenstemperatur im Kessel zu halten.

Buchtipp

Wanderungen zu Murmeltier, Steinbock & Co. Die besten Gebiete für Tierbeobachtungen in der Schweiz

 

Dieses Buch präsentiert die besten Gebiete der Schweiz samt Wanderrouten für alle Schweizer Regionen, die eine Möglichkeit bieten, unsere Alpentiere zu beobachten. Mit vielen Fotos und Informationen zu Tieren und Landschaft und zahlreichen Wandervorschlägen – eine wunderbare Grundlage für eigene Entdeckungsreisen zu den Wildtieren der Schweiz.

 

Autor: Lorenz Heer

Haupt Verlag

ISBN: 978-3-258-07882-3

 

Erhältlich im Haupt-Onlineshop: haupt.ch 

oder in jeder Schweizer Buchhandlung.

«Murmeliwege»

Murmeltiere legen in der Nähe viel begangener Wanderwege schnell ihre Scheu ab. Also haben einige Orte eigens Murmeltierpfade eingerichtet, um Wanderern eine weitere Attraktion zu bieten.

Arolla, Avers, Bettmeralp oder Zermatt haben zum Beispiel Murmeltierpfade, an denen Begegnungen mit den grossen Nagern sehr wahrscheinlich sind. Dort haben die Tiere Zutrauen zum Menschen gewonnen. Sie beäugen ihn eher neugierig, als dass sie flüchten.

Futtersäckli: Und natürlich gibt es in Saas-Fee den beliebten «Murmeliweg» am Spielboden. Von Ende März bis in den Oktober hinein kann man hier sein Glück versuchen. Danach sind die Murmeltiere im Winterschlaf. In der Touristeninformation kann man eigens «Murmelifutter» erwerben und sich dann am Berg mit einem Säckli Erdnüsse auf die Lauer legen. Das haben wir natürlich ausprobiert. Mit der Gondel geht es bequem hinauf zum Spielboden. Das leuchtend rote Hinweisschild zum Murmeliweg ist unübersehbar. Ein Abstieg zwischen Alpenrosen führt sehr bald zu den ersten Bauten. Die Schwierigkeit: Der Murmeliweg ist alles andere als ein Geheimtipp.

Rechtzeitig kommen: Murmeltierbauten gibt es hier dicht an dicht. Man muss also rechtzeitig dran sein, um Murmeltiere zu finden, die ihre Tagesration nicht längst im Magen haben. Wer es erst am späten Vormittag hierher schafft, wird vermutlich Pech haben: Leere Erdnussschalen säumen dann die Umgebung der Bauten. Selbst in den Bauten liegen ungefressene Nüsse. Murmeltiere verbringen 90 Prozent ihres Lebens im Bau und verlassen ihn fast nur zum Fressen und Sonnenbaden. Allein schon, um nicht den Hauptfeinden Fuchs oder Steinadler zum Opfer zu fallen. Wer vollgefressen ist, bleibt drin. Nur das dominante Männchen muss regelmässig auf Patrouillengang und sein Revier mit Sekret aus den Wangendrüsen markieren.

Nicht scheu: Man kann auch einfach einige Hügel weiter gehen. Die Zahl der Besucher, die sich ihren Weg durch die Alpenrosen suchen, nimmt schnell ab. Und damit auch die Menge der Erdnussschalen. Hier oben sind nicht die hochalpinen Wanderer unterwegs, sondern eher gemütlichkeitsliebende Spaziergänger, die Sonne und Aussicht in der Nähe der Gondelbahn geniessen wollen. Ist man erst einmal weit genug abseits der Hauptroute, heisst es Geduld haben. Die Murmeltiere sind hier schon lange nicht mehr scheu. Wer sich lange genug ruhig verhält, kann das Glück haben, dass das Tier nicht nur die als Lockspur ausgelegten Nüsse und Rüeblistücke in sich hinein nagt, sondern bald sogar aus der Hand frisst. Trotz der eindrücklichen Nagezähne sind die Murmelis dabei ganz sanft und nehmen die Nuss sogar zart aus der Handfläche entgegen. Und ja, das fühlt sich ganz wunderbar an.

Weitere Informationen finden Sie unter: saas-fee.ch