Baustoffe

Ist Lehm auf dem Weg zum Super-Baustoff?

Bauen Als Baustoff bietet Lehm wichtige Vorteile: lokal verfügbar, gute Klimabilanz, positiver Einfluss aufs Raumklima. Nun prüfen Forschende neue Rezepturen, um ihn stabiler und dauerhafter zu machen sowie die Anwendung zu vereinfachen.

von Remo Bürgi

Faktor Journalisten

Wer heute ein Gebäude bauen oder sanieren will, kann aus einer breiten Palette von Baumaterialien auswählen. Viele davon sind zwar bewährt und erfüllen ihren Zweck. Herstellung, Transport und Rückbau dieser Produkte sind allerdings mit CO2-Emissionen verbunden, weshalb sie einen negativen Einfluss auf die Umwelt haben. So ist zum Beispiel die Zementproduktion alleine für sieben Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Kein Wunder, arbeiten Forscherinnen und Forscher rund um den Globus daran, Baustoffe umweltverträglicher zu machen und Alternativen zu entwickeln. Eine davon ist der Lehm.

Alter Baustoff neu entdeckt

Lehm wird seit Menschengedenken als Baustoff eingesetzt, entweder in Form von luftgetrockneten Lehmziegeln, als Stampflehm oder in Kombination mit einem Holzfachwerk. In den letzten Jahrzehnten beschränkte sich der Lehmbau mehrheitlich auf Kulturen mit eingeschränktem Zugang zu industriellen Baustoffen. Doch seit einigen Jahren erlebt das Bauen mit Lehm auch in unseren Breitengraden eine Renaissance – aus gutem Grund, ist Ellina Bernard überzeugt. Die Materialwissenschaftlerin arbeitet am Departement für Ingenieurwissenschaften der Empa und forscht aktuell zu diesem Baustoff. Sie erklärt: «Lehm ist fast überall lokal verfügbar und lässt sich ohne grossen Energieeinsatz verarbeiten. Er weist deshalb eine viel bessere CO2-Bilanz auf als beispielsweise Beton.» Dazu kommt, dass Lehm bei richtiger Anwendung einen positiven Effekt auf das Raumklima hat. Lehm vermag Wärme und Feuchte sehr gut aufzunehmen und zu speichern. «Er wirkt deshalb ausgleichend auf die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit», sagt Bernard. «Im Sommer bleiben mit Lehm gebaute Häuser angenehm kühl, und im Winter ist die Raumluft weniger trocken.»

Aufwendige Verarbeitung

Wenn Lehm als Baustoff so viele Vorteile bietet – was spricht dagegen, ihn verbreitet einzusetzen? Kurz gesagt: Mit Aushub-Lehm zu bauen, ist gegenwärtig personal- und zeitaufwendiger und damit teurer, als wenn man beispielsweise Beton verwendet. Das hängt damit zusammen, dass die Zusammensetzung des Lehms je nach Standort unterschiedlich ist und sich nicht immer für das gewünschte Bauteil eignet. Die Aufbereitung vor Ort setzt viel Erfahrung voraus und wird hauptsächlich in Handarbeit umgesetzt. Alternativ werden industriell hergestellte Lehmbaustoffe eingesetzt, darunter Lehmputze, Lehmplatten oder Lehmsteine. Diese haben etwas längere Trocknungs- bzw. Setzzeiten als vergleichbare konventionelle Baustoffe und müssen vor anhaltendem Regen geschützt sein.

Neue Rezepturen gefragt

Ellina Bernard will den Baustoff wettbewerbsfähiger machen. Ihr Ziel ist, dass Lehm ähnlich wie Beton auf der Baustelle gegossen werden kann und die nötige mechanische Festigkeit und Dauerhaftigkeit erreicht. Dazu untersucht sie, mit welchen Zusatzstoffen Lehm stabilisiert werden kann. Eine Möglichkeit, die Trocknungszeit zu verkürzen und der Klumpenbildung vorzubeugen, ist die Zugabe unter anderem von Magnesiumoxid, das bei nachhaltiger Gewinnung eine gute Klimabilanz aufweist. Bernard und ihr Team testen verschiedene Rezepturen und überprüfen sie mit Experimenten. «Wichtige Aspekte sind die Druckfestigkeit, aber auch die Haltbarkeit sowie die Möglichkeit des Rückbaus und der Wiederverwertung der Materialien», erklärt die Forscherin. «Nur so lässt sich beurteilen, wie nachhaltig ein Baustoff tatsächlich ist.»

Begehrter Lehmputz

Lehm steht nicht nur im Labor im Fokus – auch in der Praxis steigt laut Claudio Rodriguez die Nachfrage. Rodriguez ist Geschäftsführer der auf Lehmbau spezialisierten Firma Kloter Naturbau aus Langnau im Emmental. «Wir merken, dass Lehm als Baustoff durch die Bestrebungen nach Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit mehr Aufmerksamkeit erhält.» Besonders gefragt sind ihm zufolge Lehmputze. Sie lassen sich recht einfach einsetzen, weil man sie auf allen gängigen Oberflächen auftragen kann. Und sie sind in verschiedenen Strukturformen und Farbtönen verfügbar, lassen sich also nach den Wünschen der Bauherrschaft gestalten.

Wie dick muss ein Verputz sein, damit sich positive Effekte auf das Raumklima bemerkbar machen? «Bei einem Zimmer von 4 auf 6 Metern reicht ein Lehmputz mit einer Stärke von 1 bis 1,5 Zentimetern auf der Hälfte der Wände, um einen Unterschied zu merken», erklärt Rodriguez. «Wird der ganze Raum verputzt oder kommen Lehmsteine respektive Lehmplatten zum Einsatz, verbessert sich das Raumklima noch stärker.»

Lehm als CO2-Speicher

Lehm lässt sich aber nicht nur als Putz einsetzen, sondern auch als Stein. Produziert werden solche Produkte hauptsächlich in Deutschland, wo der Lehmbau eine längere Tradition hat als hierzulande und eine grössere Industrie existiert. Mittlerweile gibt es auch luftgetrocknete Lehmsteine, die sich für tragende Bauteile einsetzen lassen. Lehm könne so CO2-intensivere Baustoffe wie Beton in vielen Bereichen ersetzen, sagt Rodriguez. Ein Gebäude ganz aus Lehm zu bauen, sei aber kein realistisches Ziel: «Im Fundationsbereich zum Beispiel sind Lehmsteine wegen ihrer Wasserlöslichkeit nicht sinnvoll – hier ist Beton nach wie vor eine geeignete Wahl.»

Die Verarbeitung und Nutzung von lokalem Aushublehm ist heute nach wie vor weitgehend Handarbeit, eine technische Weiterentwicklung fehlt in diesem Bereich. Aushublehm sei zwar sehr spannend punkto Nachhaltigkeit, weil keine Emissionen durch den Transport anfallen und kaum Energie bei der Aufbereitung benötigt wird, sagt Rodriguez. «Im Vergleich zu industriellen Lehm-Produkten ist diese Form des Lehmbaus aber preislich oft weniger attraktiv und benötigt viel Fachwissen, weil der Aushub sehr unterschiedliche Zusammensetzungen aufweist.»

Rodriguez verweist abschliessend auf einen Ansatz, der den Lehmbau aus Nachhaltigkeitsperspektive noch attraktiver macht. Kombiniert man Lehm nämlich mit Stroh oder anderen organischen Produkten, speichert er das enthaltene CO2 langfristig. Lehm wird so zu einem klimapositiven Baustoff, der mehr CO2 aus der Atmosphäre aufnimmt, als bei seiner Herstellung abgegeben wird.