Im Sommer zur Erfrischung in den See springen ist herrlich. Doch selbst wenn wir daheim bleiben oder im Büro sitzen, kann uns das Seewasser abkühlen – und im Winter unsere Gebäude heizen. Denn grosse Seen und auch Flüsse sind nicht nur Erholungsgebiete, Trinkwasserreservoire und Lebensraum für Pflanzen und Tiere, sie speichern auch grosse Mengen an Wärme.
Diese Erkenntnis ist nicht neu: Schon 1938 nutzten findige Köpfe das Wasser der Limmat, um das Zürcher Rathaus mittels einer Wärmepumpe zu heizen und zu kühlen. Weitere Gebäude in der Stadt folgten, doch ab den 1950er-Jahren setzten sich Öl- und Gasheizungen im grossen Stil durch. Öl- und Gasheizungen wurden erst infrage gestellt, als in den 1970er-Jahren die Ölkrisen kamen und später der CO2-Ausstoss zum Thema wurde. Inzwischen ist klar: Es muss Alternativen zum Heizen mit fossilen Brennstoffen geben.
In der Schweiz ist Heizen mit fossilen Brennstoffen immer noch weit verbreitet – fast zwei Drittel der Gebäude hierzulande werden mit fossiler Energie beheizt. Dementsprechend hoch ist der CO2-Ausstoss. Der Gebäudepark ist insgesamt für etwa einen Drittel der CO2-Emissionen in der Schweiz verantwortlich.
Einheimische erneuerbare Energie
Bis 2050 soll die Schweiz unter dem Strich keine Treibhausgase mehr ausstossen. Um dieses Netto- Null-Ziel zu erreichen, müssen wir auch bei den Gebäuden ansetzen. Besser dämmen und somit weniger heizen ist eine Massnahme. Zudem muss die benötigte Wärme für Heizung und Warmwasser durch erneuerbare Energien erzeugt werden – und dabei kann Seewasser eine wichtige Rolle spielen.
Mit Seewasser zu heizen und zu kühlen hat viele Vorteile: Gegenüber einer Heizung mit fossilen Brennstoffen sinken die Treibhausgasemissionen um bis zu 80 Prozent. Ausserdem ist die Energie einheimisch und wird regional genutzt – die Transportwege sind also kurz, die lokale Wertschöpfung steigt und die Abhängigkeit von Importen sinkt. Das wirkt sich auch auf die Preise aus, die nicht abhängig vom Weltmarkt und damit viel stabiler als bei fossilen Brennstoffen sind. Das Potenzial der Schweiz mit ihren vielen Seen und Flüssen ist gross, wie eine Studie der Eawag, des Wasserforschungsinstituts der ETH, zeigt. An vielen Orte könnte den Gewässern sogar problemlos mehr thermische Energie entnommen werden, als tatsächlich gebraucht wird.
Ein System zum Heizen und Kühlen
Wie erwähnt, ist das Prinzip schon lange bekannt, und die Technik ist erprobt. Aber Seewasser ist doch relativ kühl, gerade im Winter. Wie kann man also damit heizen? Dazu sind Wärmepumpen nötig, welche die Wärme des See- oder auch des Flusswassers als Energiequelle nutzen. Bei Seen wird das Wasser mindestens 100 Meter vom Ufer entfernt und in einer gewissen Tiefe gefasst, idealerweise unter der Sprungschicht des Sees, damit die Wassertemperaturen konstant sind. Das Wasser wird in die Seewasserstation gepumpt, dort gefiltert und dann durch einen Wärmetauscher um etwa 3 Grad Celsius abgekühlt. Anschliessend hebt eine Wärmepumpe die Temperatur auf das erforderliche Niveau für Heizung und Warmwasserbereitung an, in der Regel auf 40 bis 65 Grad Celsius. Flusswasser wird nach demselben Prinzip genutzt. Im Sommer funktioniert das System umgekehrt: Das Wasser kann mittels sogenanntem Freecooling die Räume direkt kühlen oder die Energie für eine Kältemaschine liefern. Dass sie sowohl heizen als auch kühlen können, ist ein grosser Vorteil dieser Systeme.
Das See- oder Flusswasser zirkuliert in einem eigenen Kreislauf und kommt nie mit dem Wasser des Heizkreislaufs in Berührung. Nach der Entnahme der Wärme oder Kälte wird es in gleicher Menge und chemisch unverändert wieder in den See oder Fluss eingeleitet. Im Winter kommt das Wasser rund 3 Grad kälter zurück, als es entnommen wurde. Eine leichte Abkühlung ist für Pflanzen und Tiere unproblematisch – angesichts des Klimawandels kann sie sogar nützlich sein. Im Sommer ist es allerdings andersherum, und sollte sich ein See erwärmen, könnte das schädlich sein. Deshalb gibt es für die Nutzung des Wassers strenge ökologische Vorgaben, und alle betroffenen Seen werden überwacht. Bisher wurden keine negativen Auswirkungen der Seewassernutzung festgestellt. Die genutzten Wassermengen sind zu gering, um die Wassertemperatur eines grossen Sees spürbar zu verändern.
Jedem seine Seewasser-Heizung?
Kann also jeder, der in der Nähe eines grossen Gewässers wohnt, sein Einfamilienhaus mit einer Seewasser- Wärmepumpe heizen? Technisch möglich wäre es, praktikabel ist es allerdings nicht. Die Investitionskosten sind eher hoch, und die Seewasserstation und ihre Leitungen müssen regelmässig gereinigt werden, damit die Anlage nicht verstopft, beispielsweise durch Wandermuscheln. Im Gebäude selbst sind für einen Anschluss an ein thermisches Netz hingegen kaum Installationen und nur wenig Unterhalt nötig. Für eine kleine Anlage würde man aber kaum eine Bewilligung erhalten, da viele kleine Anlagen einen See stärken mit Infrastruktur belasten als wenige grosse. Zudem sind grosse Anlagen effizienter.
Ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll ist der See als Wärmequelle daher für dicht besiedelte Gebiete, grosse Unternehmen oder Industriequartiere in der Nähe grosser Gewässer. Solche Gebiete werden von Seewasserverbunden versorgt. Rund um den Zürichsee beispielsweise gibt es bereits gut 50 grössere und kleinere Wärmeverbunde. Dort wie auch in vielen anderen Schweizer Seen wird die Seewassernutzung derzeit weiter ausgebaut.
Das Prinzip funktioniert auch auf 1750 Metern Höhe und selbst dann, wenn der See zugefroren ist, wie das Beispiel St. Moritz beweist. Das Seewasser wird in 12 Metern Tiefe entnommen, wo die Temperatur ganzjährig bei 4 Grad Celsius liegt. In allen Landesteilen bieten die Flüsse und Seen also nicht nur einen hohen Erholungswert, sondern können auch helfen, unsere Gebäude klimafreundlicher zu heizen und zu kühlen.
WEITERE INFOS
Eawag-Projekt zur thermischen Nutzung von Seen und Flüssen: www.thermdis.eawag.ch/de