Gartengestaltung

Genius Loci – das Wesen eines Ortes

Gartengestaltung Viele kennen das Gefühl: Man betritt einen Garten und ist schlagartig von der Schönheit des Ortes fasziniert. Woran liegt es, dass es Orte gibt, die eine besondere Ausstrahlung vermitteln und andere, die das nicht können?

von Felix Käppeli

Fachredaktor Garten, JardinSuisse

«Unermesslich war das Pflanzenwachstum, prächtig, ungebändigt und reich an Zufälligkeiten, fernab von Spaten und Giesskanne des Gärtners. Die Natur, sich selbst überlassen, konnte in aller Zuchtlosigkeit sich ungehemmt auswachsen in diesen einsam geschützten Gründen und wallte in jedem Frühling heftiger auf.» In etwa so füllig steht es in einem Schriftwerk des bekannten französischen Schriftstellers Émile Zola, als seine Romanfigur einen traumhaft schönen, verwilderten Garten betritt.

Der im Buch beschriebene Garten ist für Zola die Metapher für einen Ort, an dem mittels einer Mauer die beklemmende Enge des Alltags, das einengende Gerüst aus Regeln und Verboten überwunden wird; ein Ort des Rückzugs, der Reflexion und des Aufbruchs. Aber wie können solch kraftvolle Orte wie dieser entstehen?

Der Geist eines Ortes

Viele von uns kennen solch unverkennbare Orte. Sei es nun eine lauschige Nische in einer Parkanlage, ein einzigartiges Gebäude, das man betritt, oder ein verwunschener und mystischer Innenhof. An diesen Orten befindet sich alles an der richtigen Stelle. Nichts könnte entfernt werden, ohne das ausgewogene Gesamtbild zu gefährden. Alles neu Hinzugefügte müsste sich bedacht in den Dienst des Gesamtkonzeptes stellen. Es ist dieser «Geist des Ortes», der unerklärbar und doch so drängend erscheint. Auch viele Gärten verfügen über diese Eigenschaften.

Im Gegensatz zu einem neu erstellten Gebäude darf sich eine neu angelegte Gartenanlage erst noch entwickeln und entfalten. Ein Garten wächst beständig und wird nicht baufällig wie ein Haus, sondern sollte im Laufe der Zeit immer schöner und üppiger werden.

Kann man eine solch unvergleichbare Atmosphäre, wie sie Émile Zola beschreibt, miteinplanen? Oder stellt sich eine derartige Ausstrahlung von selbst ein? Entsteht ein aussergewöhnlicher Ort, ein Genius Loci, ohne Zutun von aussen?

Das lateinische Wort Genius Loci hat seinen Ursprung im römischen Glauben respektive in der römischen Antike. Damals hiess es, dass Menschen und Orte ihren «Genius» haben, was so viel wie Schutzgeist bedeutet. Der Ort wurde in der römischen Mythologie als etwas Heiliges verehrt und mit einer bestimmten Spiritualität gleichgesetzt. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Orte öfter mit etwas Heiligem gleichgestellt wurden, es gab die «heiligen Orte». In ähnlichem Kontext spricht man heute eher von Kraftorten. Solche Kraftquellen können eindrückliche Felsformationen sein, markante Bäume oder dichte Wälder, ein beruhigendes Gewässer oder eben die Atmosphäre einer bestimmten räumlichen Konstellation.

Kraft, Ausstrahlung, Atmosphäre, Stimmung: Es sind ganz besondere Orte. Ihnen scheint ein besonderer Geist innezuwohnen, der, wenn man so will, emotional wirksam ist und diese Orte über den Zustand des rein ästhetisch Schönen hinaus- und heraushebt.

Stimmungen miteinbeziehen

Ein kraftvoller Garten hat seinen eigenen Charakter, verfügt über Qualitäten und Besonderheiten und hat seine eigene Identität. Wahrgenommen wird ein solcher Ort über die Sinne des Betrachters und bekommt dadurch einen persönlichen Charakter. Ohne diese Qualitäten kann er seine Faszination und seinen Reiz verlieren und verkommt zu einem gewöhnlichen Gelände.

Wichtige Parameter und mögliche Einbindungen für einen Gartenentwurf sind die Lage des Grundstückes, die Einbettung in seine Umgebung, der Einfluss der benachbarten Grundstücke oder Landschaften, eine bereits vorhandene Ausstrahlung oder besondere Blickfänge und historische Bezüge. Dies alles ergibt eine übergeordnete Wertigkeit, die den Charakter des Ortes und seine Nutzungsmöglichkeiten definiert.

Bei der gestalterischen Auseinandersetzung mit einem Grundstück ist die intensive Wahrnehmung mit all seinen Eindrücken, Wirkungen und Stimmungen – auch über die eigentliche Grundstücksgrenze hinaus – somit prägend für die Individualität des Entwurfes. Befindet sich in der Nachbarschaft vielleicht ein markanter Baum, den es mit Sichtachsen in die Planung miteinzubeziehen gilt, so kann ein willkommener Blickfang in einer zusätzlichen Perspektive entstehen. Oder der private Aussenraum liegt in einem stark besiedelten Gebiet, allenfalls geprägt durch eine Hinterhofsituation von industriellem Charme und einer gewissen Schwere. Hier inszeniert der Einsatz von wildwüchsigem Grün Leichtigkeit und schafft einen geborgenen Raum mit Vielfalt und Lebendigkeit zwischen Mauern aus Beton. So oder ähnlich kann eine besondere Atmosphäre oder Aura entstehen, die einem Genius Loci gleichkommt.

Entwerfen vor Ort

Jemand, der die Wahrnehmung eines Ortes und seiner Umgebung auf eine ganz bestimmte Arbeitsweise in seinen planerischen Berufsalltag integriert, ist der Liechtensteiner Landschaftsarchitekt Peter Vogt. Das in Vaduz (FL) ansässige Landschaftsarchitekturbüro PVLA AG verwendet für die Ideensammlung, den gestalterischen Entwurf und die Bauleitung einen schon fast historischen Reisebus als mobilen Arbeitsplatz.

 

Mit seinem orangen Bürobus sind Peter Vogt und sein Team jeweils tage-, oft auch wochenlang direkt vor Ort bei den Projekten, die von ihnen um- oder neugestaltet werden. Mit dem Blick aus dem Busfenster nehmen die Planer von der Umgebung und ihrer Wirkung mehr wahr als in einem weit entfernten Büro. Viele Details und Nuancen werden so sichtbar, und dies zu unterschiedlichen Tageszeiten, bei wechselnden Witterungsverhältnissen und Stimmungen.

 

«Diese Arbeitsweise ermöglicht eine intensive Auseinandersetzung mit dem Projektort über einen längeren Zeitraum hinweg», erklärt Vogt. «Auf diese Weise analysieren wir den Genius Loci und lassen uns gleichfalls von den örtlichen Gegebenheiten inspirieren, was zu tiefgründigen und auf den Ort abgestimmten Projekten führt», ergänzt der kreative Grünplaner. Aber auch die Geschichte kann so manches über einen Ort erzählen. Deshalb ist für Peter Vogt die «Zeitreise» ein zusätzliches Instrument, den Genius Loci in den Entwurf einzubeziehen. Hilfsmittel wie historische Fotos oder Zeichnungen, Erzählungen oder alte Dokumente unterstützen ihn dabei.

 

Die Passion für Lastwagen und Busse führten Peter Vogt zu seinem mobilen Büro. Mit dem Erwerb des Fahrzeuges konnte Vogt seine Begeisterung für Busse mit seiner Leidenschaft für Landschaften vereinen.

 

Mit viel Herzblut und persönlichem Engagement kommt die mobile Arbeitsstätte heute als multifunktionales Fahrzeug daher und ist mit drei Arbeitsplätzen ausgestattet. Hinzugefügt wurde ein wohnlicher Aufenthalts- und Schlafbereich sowie eine Kochnische.

 

Die nicht alltägliche Herangehensweise an die Aufträge fällt auf und kommt in der Bevölkerung sehr gut an. So kann es sein, dass der Bus längere Zeit auf einem öffentlichen Platz steht oder in einem Wohnquartier vor einem Privatgarten.

JardinSuisse

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