Blütenblätter sucht man an Euphorbien vergebens. Anstelle einer Blütenkrone locken mehr oder weniger farbige Blätter und Hochblätter (Brakteen) Insekten an. Um die genetische Vielfalt zu fördern und Selbstbestäubung zu vermeiden, entfaltet sich die weibliche Blüte deutlich früher als die männlichen Blüten, die sie im Cyathium (griechisch kyathion «kleiner Becher») umgeben. Wenn sich die männlichen Blüten schliesslich entwickeln, hat die weibliche Blüte ihren Fruchtknoten schon längst in eine hängende Kapsel verwandelt. Später wird sie explodieren, um ihre reifen Samen zu verteilen. Der Nektar der männlichen Drüsen ist für Insekten ein Schmaus. Der giftige Milchsaft der Stängel dagegen hält pflanzenfressende Feinde – auch Schnecken – ab.
Tränende Bäume
Ein Merkmal von Wolfsmilchgewächsen ist ihr reichhaltiger Milchsaft, der an der Luft gerinnt. Der bekannteste natürliche Latex oder Kautschuk stammt von Hevea brasiliensis, einer südamerikanischen Baumart. Das Wort ist von den indischen Wörtern cao für «Baum» und tschu für «der weint» abgeleitet. Nach der Vulkanisierung wird der Kautschuk so elastisch, dass er zur Herstellung unterschiedlichster Objekte verwendet wird: vom Flugzeugreifen bis hin zum Kondom.
Hexenmilch und Blütennektar
Der frische Milchsaft kann Hautirritationen und Blasenbildung hervorrufen. Beim Schneiden der Stängel sollte man Handschuhe tragen und sich allenfalls mit einer Brille schützen, damit der Saft nicht ins Auge spritzen kann. So gefährlich wie Hexen, so Heil bringend sah man ihn auch. Schon zu Beginn unserer Zeitrechnung schrieb man den Wolfsmilchgewächsen medizinische Eigenschaften zu. Im 1. Jahrhundert wurde ihnen der Name Euphorbia gegeben. König Juba II von Mauretanien würdigte damit seinen Arzt Euphorbos, der mit dem Saft von Euphorbia resinifera und / oder Euphorbia echinus versuchte, die Syphilis zu kurieren. Weniger zweifelhaft, ja sogar köstlich, soll das Geschmackserlebnis beim Verzehr von marokkanischem Euphorbien-Honig sein. Neben den oben genannten Arten schätzen die dortigen Bienen Euphorbia regis-jubae, deren Namensgeber König Juba ist. Traditionell wird der an Lavendel erinnernde Honig bei Atemwegserkrankungen empfohlen.
Tipp von Pflanzenfreundbotschafterin Maja Bartholet
Blühende Euphorbien sind nicht nur im Frühlingsgarten eine Zierde. Auch in der Vase – zusammen mit Wildtulpen, Narzissen oder später Akeleien – sind die meist gelbgrünen Blütenstände ein besonderer Schmuck. Farmerfloristin Maja Bartholet (Website: fleuraissance.ch) kultiviert in ihrem Schnittblumengarten die einjährige Weissrand-Wolfsmilch Euphorbia marginata, deren strahlende Brakteen mit dem grünen Laub kontrastieren. Nach dem Schnitt lässt Maja die Stängel in einem separaten Gefäss «ausbluten». Danach erst werden sie mit anderen Blumen kombiniert.
Drei Euphorbien für den Garten
1 Die Zypressen-Wolfsmilch (Euphorbia cyparissias) zählt zu den kleinwüchsigen einheimischen Arten. Aber Vorsicht! Ihr zierlicher Habitus täuscht, da ihre Ausbreitungsfreude fast unbändig ist. Die gute Nachricht? Ist es feucht, lassen sich überzählige Ausläufer ganz leicht aus der Erde ziehen und in die Vase stellen. Im April und Mai erscheinen die gelbgrünen Blüten der Wolfsmilch gleichzeitig mit botanischen Tulpen wie Tulipa clusiana "Lady Jane" und Tulipa batalinii "Honky Tonk" (gelb).
2 Die Balkan-Wolfsmilch (Euphorbia amygdaloides ssp. robbiae) eignet sich als Bodendecker und ist hart im Nehmen. Sie liebt lichten Schatten, gedeiht aber selbst im trockenen Schatten grosser Bäume. Was die wintergrüne Art mit dem dunklen Laub dagegen nicht mag, ist direkte Sonneneinstrahlung.
3 Die Rouys-Wolfsmilch (Euphorbia x martinii "Ascot Rainbow") trägt panaschiertes Laub. Sie schmückt sich mit unzähligen roten «Äuglein», weshalb sie gut mit rotlaubigen Gräsern harmoniert. Da sie sich auch im Kübel wohlfühlt, ist sie auch für Balkon und Terrasse eine Bereicherung.
Buchtipp: Gärtnern ohne Bewässern
Olivier Filippi, französischer Autor und Wildstaudengärtner, hat mehrere Bücher über die Fauna der Mittelmeerregion verfasst. Im Buch «Pour un jardin sans arrosage» hat er den Euphorbien ein grosses Kapitel gewidmet, mit geschichtlichen Anekdoten, botanischem Wissen und zahlreichen Artenporträts. «Pour un jardin sans arrosage», Olivier Filippi, (Actes Sud, 2007), ISBN 978-2-330-15005-1