Der Zürcher Stadtteil Wipkingen, der zusammen mit Höngg den Kreis 10 bildet, liegt zwischen Käferberg und Limmat. Als Wohnquartier ist er begehrt. 25 Jahre lang lebte die Bauherrschaft hier an der Trottenstrasse in einem kleinen Giebelhaus. Als die Planungen für das unmittelbar benachbarte Alterszentrum Trotte bekannt wurden, das sich inzwischen siebengeschossig und mit bordeauxroter Keramik verkleidet in die Höhe reckt, wünschte auch die Bauherrenfamilie einen Neubau. 2015 erarbeiteten Andreas Fuhrimann und Gabrielle Hächler ein Vorprojekt, das sofort zur Ausführung kam: ein Gebäudevolumen so hoch wie möglich, um von der benachbarten Masse nicht erdrückt zu werden. Ganz abgesehen davon bietet sich heute aus der Wohnküche im Dachgeschoss eine sensationelle Aussicht über das Zürcher Industriequartier, den Zürichsee und die Alpen.
Skulptural und dabei klassisch dreigeteilt streckt sich das neue Haus gen Himmel: Auf einem Sockelgeschoss aus Beton sitzen zwei gemauerte Mittelgeschosse. Das Dachgeschoss, wieder aus Beton gefertigt, nimmt mit seinen Dachschrägen die vorherrschende Giebelbauweise des Quartiers auf. Am Boden schaffen zwei Einschnitte eine geschützte Eingangssituation zur Strasse, ein gedeckter Sitzplatz dient der Einliegerwohnung als Garten mit Brunnen. Ohne Vor- und Rücksprünge kommt der gemauerte Mittelteil aus, er entspricht dem maximal möglichen Fussabdruck. Der Mörtel quillt hervor, im Gegensatz zu den beiden kristallinen Betongeschossen wirkt die Fassade beinahe weich.
Wohnküche als räumlicher Höhepunkt
Innenräumlich bilden die zwei mittleren Geschosse zusammen mit dem Attikageschoss und der Dachterrasse die dreistöckige Wohneinheit. Räumlicher Höhepunkt ist die Wohnküche im teils überhohen, von der Dachform geprägten Raum, der sich übereck öffnet.
In den beiden Geschossen darunter finden Wohn-, Büro- und Schlafräume sowie Ankleide und zwei Bäder Platz. Das Material wurde «brut» verwendet, Sockel- und Dachgeschoss allerdings sind innen isoliert und mit Sperrholzplatten verkleidet. Der gemauerte Mittelteil wurde als innenisoliertes Doppelmauerwerk ausgeführt. Im Gegensatz zu den Fassaden wurde der Mörtel in den Innenräumen abgezogen. Die Wände blieben jedoch unverputzt und zeigen ihre dekorative Qualität: Sichtbar vermauert wurde die Rückseite der Ziegel. Die Lagerung auf einem Lochblech zeigt sich als regelmässiger Abdruck und wirkt fast wie eine Tapete. Feine Holz-Metallfenster setzen sich innen wie aussen vom rohen Mauerwerk ab. Sie sind ausstellbar, ebenso die Stoffstoren, die vor zu viel Sonne schützen. Callwey Verlag
«Wir betrachten das Einfamilienhaus als Königsdisziplin in der Architektur, da hier zusammen mit einer Bauherrschaft ein individueller Lebensentwurf in einem spezifischen Kontext entwickelt wird, was immer wieder zu interessanten Erfahrungen führt.»
Häuser des Jahres 2021
Zum elften Mal wurde der Wettbewerb «Häuser des Jahres» ausgelobt und ein Haus mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Grosse und kleine Bauten waren in allen Jahren dabei. Es wurden Häuser auf dem Land und im Dorf, in der Vorstadt und der Stadt ausgewählt. Sie sind aus Beton, Ziegel oder aus Stein, flächig aufgeglast oder von einzelnen Setzungen perforiert.
Häuser des Jahres. Die besten Einfamilienhäuser 2021. Autoren: Udo Wachtveitl ∕ Katharina Matzig. 320 Seiten, 450 farbige Abbildungen und Pläne. 23 x 30 cm, gebunden. ISBN 978-3-7667-2530-1. Das Buch ist in jeder Schweizer Buchhandlung oder im Onlineshop von Callwey erhältlich: callwey.de/shop
Das Urteil der Jury
1. Platz im Buch «Häuser des Jahres 2021»: Deshalb hat die Jury das Haus in Zürich-Wipkingen zum Siegerprojekt erkoren.
Wer in Zürich, der teuersten Stadt der Welt, eine Villa errichtet, die bewusst an informelle Bauweisen aus dem globalen Süden anknüpft, hat keine Probleme anzuecken. Gabrielle Hächler und Andreas Fuhrimann von AFGH haben höchstens ein Problem damit, berechenbar zu werden. Die beiden Architekten sind mit einer ganzen Reihe von Wohnhäusern aus Beton berühmt geworden. Deren Bauweise hatte nicht viel mit den kunsthandwerklich präzise gearbeiteten Betonbauten zu tun, die weithin mit der modernen Schweizer Architektur verbunden werden. Fuhrimann und Hächler wollten Rohheit, wollten Schalungsspuren, wollten sichtbare Makel im Material.
Beim Haus Alder wechselten sie zwar bei den Aussenwänden vom Beton zu einem billigen Industrieziegel, die Lust an einer Ästhetik des Rauen, Unverfeinerten zeigen sie jedoch auch hier. Die «Ornamentik» besteht beim Haus Alder in aus den Fugen quellendem Mörtel, der sich wie ein erhabenes Netz über die Wände legt. Dieses pastose Mörtelgitter verleiht dem Gebäude Plastizität und erzeugt ein lebhaftes Schattenspiel auf den Fassaden. Die Wucht des architektonischen Vortrages, seine Neuartigkeit und Kühnheit, ist schlicht begeisternd. Vor der Folie der Herausforderungen, vor die uns der Klimawandel stellt, ist es wichtig, unsere ästhetischen Positionen zu hinterfragen. Entwürfe wie das Haus Alder leisten dazu einen wichtigen Beitrag.
Fabian Peters