Inneneinrichtung

Am Salone del Mobile in Mailand feierten Möbel aus den Siebzigerjahren ein Revival

Sitzmöbel Kräftige Farben und abgerundete Linien: Möbel aus den 1970er-Jahren feiern an der Mailänder Möbelmesse ein Comeback. Lassen auch Sie sich vom Geist der Disco-Ära inspirieren.

von Andrea Eschbach

Journalistin, Zürich

Die Siebziger sind zurück – zumindest in den vier Wänden. Designer und Hersteller entdecken die Form- und Farbgebung des oft als kitschig verpönten Jahrzehnts wieder. Überall tauchen plötzlich italienische Möbel aus den 1970er-Jahren, vertiefte Sitzmöbel und flauschige Teppichböden auf. Und auch zeitgenössisches Design feiert die Ära der Disco-Kugel. Am Salone del Mobile, der weltweit grössten und bedeutendsten Möbelmesse der Welt im vergangenen April, war das Comeback der Seventies jedenfalls nicht zu übersehen.

Ganz im Stil der Epoche präsentierte sich das neue Sofa «Dorvan» von Matteo Thun & Antonio Rodriguez für den italienischen Hersteller Désirée. Sein Vintage-Charme wird von den Designern in einer zeitgenössischen Art und Weise interpretiert. Sie setzen dabei auf Modularität und weiche, abgerundete Linien, die die Formen des Sofas sanft betonen. Besonders mit angesagtem Cord-Bezug fühlt man sich zurückversetzt in Disco-Zeiten. Den Geist der Siebziger atmet auch der Entwurf «DS-888 Collina»: Die modulare Sitzlandschaft aus der Feder von Atelier Oï war der Shooting Star am Stand des Klingnauer Herstellers de Sede. Das neue Sofa ist dank ausgeklügelter Technik eine Hommage an die Flexibilität. Hier kann geschoben und gezogen werden: Herzstück sind die Rückenlehnen, die sich dank einer neu entwickelten und patentierten Funktionalität rundum platzieren und auch bequem in der Höhe verstellen lassen. Das Sofa mit Eyecatcher-Effekt gibt es auch in einer Outdoor-Variante.

Möbel wie aus dem Comic

Auch in den Showrooms der italienischen Big Player Zanotta und Cassina in der Stadt zelebrierte man den Blick zurück. So präsentierte Zanotta unter anderem den Sessel «Gomma». Das knuffig-runde Sitzmöbel des italienischen Architekten- und Designertrios Gionatan de Pas, Donato d’Urbino und Paolo Lomazzi hat schon 55 Jahre auf dem Buckel, sieht aber frisch wie eh und je aus. Die neu aufgelegte Variante ist aus pflanzenbasierten Schäumen, klebstofffrei verarbeitet und bringt einen abnehmbaren Filzbezug mit, beispielsweise in Azurblau, Grün oder Orangerot.

Bei Cassina feierte man die Sofa-Reedition «Cornaro» von Carlo Scarpa. Die bodennahe Polsterlandschaft mit geometrischem, dunkelrotglänzend lackiertem Holzrahmen kam erstmals 1973 auf den Markt. Die Polster der Reedition leuchten nun in Babyblau oder Avocadogrün. Als Tribut an die verstorbene Mailänder Designerin und Architektin Cini Boeri stellte das Modelabel Loro Piana deren ikonische Stücke vor, eingekleidet in luxuriösen Innenraumstoffen. «Das Denken von Cini Boeri ist ausserordentlich zeitgemäss», sagte Francesco Pergamo, Direktor von Loro Piana Interiors. «Die Stücke, die wir zusammen mit Arflex und dem Archivio Cini Boeri ausstellen und mit unseren Stoffen ausstatten, sind dies ebenfalls.» Zu sehen waren unter anderem die «Botolo Chairs» aus dem Jahre 1973, die mit dem Cashfur (Stoff aus Kaschmir mit pelzähnlicher Konsistenz) der Marke bezogen und in einer limitierten Auflage von 100 Stück hergestellt wurden.

Kein Klassiker aus den wilden Siebzigern, aber eine Neuinterpretation ist der Sessel «Squash». Der Entwurf von Faye Toogood für die italienische Traditionsmarke Poltrona Frau ist ein ebenso comicartiges wie überbordendes Ledersitzmöbel. Die britische Designerin hat die Zeichen der Zeit erkannt: Sie setzte auch für den Entwurf bei Tacchini auf ein ungewöhnliches Möbel: Das Sofa «Solar» aus der Cosmic Collection sieht auf den ersten Blick wie ein Haufen Kissen aus. Mit ihrer charakteristischen Mischung aus Witz und Stil lädt Faye Toogood zu einer weichen Landung auf diesen gepolsterten Stapeln ein. Auch am Messestand des amerikanischen Herstellers Knoll International wartete scheinbar ein Stapel übergrosser Kissen auf die Besucher: Hier konnte man in den weichen, lässig aufeinander drapierten Polstern des Sofas «Perron Pillo» versinken, das vom kanadischen Innenarchitektur-Studio Perron stammt.

Kompakte Möbel für kleine Wohnungen

Neben raumgreifenden Sitzmöbeln im Seventies-Style sah man auch den Gegenentwurf: Kleine, kompakte Möbel, die selbst in kleine Wohnungen passen. Beim italienischen Hersteller Frag stellte der Berliner Designer Werner Aisslinger «Hug» vor – ein komfortables, modulares Sofa mit weichen Kurven und einfachen, klassischen Linien. Im Showroom des deutschen Herstellers Cor zeigte das Sofa «Siwa» seine Wandelbarkeit. Mit seinen sanft geschwungenen Linien und umarmenden Formen lädt der amorphe Entwurf des spanischen Studios Altherr Désile Park geradezu zum Verweilen ein. Das Sitzmöbel mit der bogenförmigen Rückenlehne gibt es in drei Ausführungen: als Récamiere für eine Person, als Zweisitzer-Sofa und als extragrosse Liegewiese, auf der sich gleich mehrere Personen bequem niederlassen können.

Beim österreichischen Hersteller Witmann überzeugte das kleine Sofa «Bun» von Federica Biasi. Leger, locker und mit grosszügiger Sitztiefe verlockt es geradezu zum Relaxen. Hanne Willmann zeigte beim italienischen Hersteller Potocco den Sessel «Jade», ein femininer Entwurf in weichen und geschwungenen Linien. «Die Kollektion ist von den Steinen inspiriert, die man in Flussbetten findet und die im Laufe der Zeit vom Wasser sanft geformt werden», sagt die Berliner Designerin. «Die Formen der verschiedenen Elemente der Kollektion und ihre fliessende und dynamische Modularität erinnern an den langsamen Prozess, der sich auf natürliche Weise in Wasserläufen abspielt. Eine Einladung, sich von einem langsameren Lebenstempo inspirieren zu lassen und die Schönheit jedes einzelnen Augenblicks wiederzuentdecken.»