Wer an Photovoltaikanlagen denkt, hat meist das typische Bild von einer Anlage auf einem Schrägdach im Kopf. Dies gewährleistet – vorausgesetzt die Himmelsrichtung wurde dabei berücksichtigt – die höchste Effizienz der Solarzellen und damit den höchsten Ertrag an Solarstrom. Das heisst aber nicht, dass man Photovoltaikanlagen nicht auch an der Fassade installieren kann. Auch wenn die Energieausbeute in der Vertikalen schlechter ist als bei einer Dachmontage, bietet Photovoltaik an der Fassade aber einige deutliche Vorteile: So kann im Winter der Solarertrag besser sein als auf dem Dach. Wenn die Sonne besonders tief steht, treffen möglicherweise die Sonnenstrahlen in einem günstigeren Winkel auf die Fassade als auf das Dach. Bei Schneefall werden die Solarmodule auf dem Dach zudem oft von Schnee bedeckt, was bei Fassaden-Modulen nicht der Fall ist. Ausserdem reflektiert der Schnee auf dem Boden die Sonne zusätzlich in Richtung der Fassade.
Drei Generationen unter einem Dach
Wie eine solche Fassadengestaltung im alpinen Umfeld aussehen kann, demonstriert gerade der Neubau Egga in Davos. Gleich neben dem Viadukt der Parsenn-Bergbahn steht das dreistöckige Gebäude, welches das erste Wohnhaus mit integrierter Fassaden-Photovoltaik der Bündner Gemeinde ist. Die Bauherrschaft, eine junge Familie mit zwei kleinen Kindern, hatte die am Hang gelegene unbebaute Parzelle 2023 erwerben können. Gemeinsam mit dem Vater der Frau sollte dort ein neuer Lebensmittelpunkt geschaffen werden. «Alle drei Generationen unter einem gemeinsamen Dach war unser Ziel», erklärt der Bauherr. «Ausserdem wünschten wir uns einen energieeffizienten Holzbau.» Ein Mehrgenerationenhaus, das Solarenergie mit modernem Holzbau verbindet, so lautete der Auftrag.
Das Zürcher Büro JOM Architekten machte dafür eine Machbarkeitsstudie, auf welche der Direktauftrag erfolgte. Das 2014 gegründete Büro will Orte und Räume schaffen, die identitätsstiftend und klimapositiv wirken. Bei jedem Projekt ein Stück weit Neuland betreten, ist ihr Credo. Dies gilt auch für den Bau in Davos. Zunächst war ein reiner Holzbau geplant, jedoch mussten die Architekten umdenken, denn aufgrund der Vorgaben in Bezug auf die Lawinengefahrenzone war ein solcher nicht haltbar. «In der Gefahrenzone 2 ist Bauen mit Auflagen möglich», sagt Stefan Oeschger, Partner bei JOM. «Wir zogen einen Testingenieur bei, der durch Simulationen berechnen konnte, mit welcher Wucht eine Lawine auf das Haus treffen könnte.» Und so wurde schnell klar, dass eine gemischte Lösung aus Beton und Holz gefragt war. Die ersten zwei Geschosse und die hangseitige Hauswand sind aus massivem Beton gebaut und wirken wie eine Staumauer. Den hangseitigen Fenstern ist im Erdgeschoss zudem Panzerglas vorgehängt, das im Lawinenfall die Last abwehren würde. Der oberste Stock ist in Holzelementbauweise umgesetzt. Aus optischen und ökologischen Gründen ist die hinterlüftete Fassade aus heimischem Lärchenholz gefertigt.
Standard-PV-Module sorgen für Energie
«Die Herausforderung lag darin, die PV-Module – es handelt sich um preisgünstige Standard-Module – in eine Holzelementfassade zu integrieren, so dass sie ein selbstverständlicher Teil des Hauses wurden», erklärt Oeschger. «Durch die durchlaufenden Brüstungen mit hölzernen Trennleisten, die im Norden mit einer traditionellen Deckleistenschalung ergänzt sind, gelang es, den Ausdruck eines Holzbaus zu erhalten, obwohl ein grosser Teil der Fassade aus PV-Modulen und Fenstern besteht.» Die Module wurden auf Schienen montiert, die präzis auf die Modullängen zugeschnitten sind, so dass die Holzfassade dazwischen zur Geltung kommt. Der Abstand der schwarzen PV-Module vergrössert sich nach oben hin, was die Bänderung spielerisch rhythmisiert. Die architektonisch fein gegliederte, leicht geknickte Fassade freut auch den Bauherrn: «Ästhetik und Nachhaltigkeit sind kein Widerspruch. Das Zusammenspiel von urigem Holz und Fassaden-PV fällt positiv auf. Schön ist auch, dass das Haus über das Jahr hinweg mehr Strom produziert als wir trotz unseres Elektroautos verbrauchen.» Denn dank hoher Sonnenerträge auch bei flachem Sonnenstand und beschneiten Dächern deckt das Haus allein über die Fassade seinen gesamten Jahresenergiebedarf von rund 14 000 kWh – und ist damit ein kleines Kraftwerk.
Beide Wohnungen verfügen über 4 1/2 Zimmer: Während in der linken Wohnung der Vater wohnt, ist die andere Wohnung das Reich der jungen Familie. Ein kleines Studio grenzt an die Wohnung der Bauherrschaft an, es wird in Zukunft als Ferienwohnung vermietet werden. Im Innern prägen Holz und Beton den Bau. Zwei Eingänge und damit zwei unabhängige Treppen erschliessen die ineinander verschränkten Wohnungen. Somit profitieren beide Wohneinheiten von einer Belichtung aus allen Himmelsrichtungen. Im Erdgeschoss der väterlichen Wohnung befindet sich eine gemeinsam genutzte Werkstatt. Die Raumaufteilung funktioniert in beiden Wohnungen gleich: Im Obergeschoss sind die Schlafräume und Bäder untergebracht, im Dachgeschoss die Wohnräume, Küche und Bad. Ursprünglich geplant war, die grosse Küche der rechten Wohnung gemeinsam zu nutzen. Jedoch stellte sich dies als nicht wirklich befriedigend für beide Parteien heraus, so dass in der linken Wohnung nachträglich eine separate Küche eingebaut wurde. «So bleibt das Projekt ein Mehrgenerationenhaus, aber ohne zwingend zu nutzende gemeinsame Räume», erklärt der Bauherr. «Während Balkon und Terrasse nach wie vor offen und verbunden sind, sind beide Wohnungen nun komplett getrennt und bieten so ausreichend Rückzugsraum.»
Der Wohnraum des Dachgeschosses ist beliebter Aufenthaltsort der Familie: Grosse Fensterflächen gewähren einen grandiosen Ausblick in die umliegende Landschaft, gemütlich Platz nehmen lässt sich auf einem abgetreppten Staumöbel, das als Sitzbank dient. «Man blickt weit ins Tal oder in die umliegenden Bäume und bekommt von der Nachbarschaft nicht viel mit», sagt der Bauherr.
«Ästhetik und Nachhaltigkeit sind kein Widerspruch. Das Zusammenspiel von urigem Holz und Fassaden-Photovoltaik fällt positiv auf.»