Ausflugstipps

Das ganz besondere Grün des Allalinhorns

Unterwegs Der einfachste Viertausender der Schweiz birgt ein ganz besonderes Gestein in sich, das es sonst nirgends auf der Welt gibt. Die Wanderung dorthin führt über einen Gletscher, der ohne Seil und Spezialausrüstung traversierbar ist.

von Alexandra von Ascheraden

Journalistin

Die Tour startet in Saas-Fee geruhsam mit der Felskinnbahn, die uns auf fast 3000 Höhenmeter bringt. Unterwegs sind wir mit Jürg Meyer. Der Geologe und Bergführer hat den Weg schon so oft zurückgelegt, dass er jede Gesteinsschicht am Wegesrand kennt. Er will uns hier oben ein besonderes Gestein zeigen. Eines, das für ihn ganz unbescheiden «das schönste Gestein der Welt» ist. Dieses steckt in einem der berühmten Viertausender des Wallis, dem Allalinhorn. Nach ihm ist dieser auffallende grün gemusterte Stein auch benannt: der Allalin-Gabbro.

Gesteine: die Geschichtsbücher der Erde

Vom Allalin-Gabbro gibt es weltweit nur einen einzigen Gesteinskörper von einem Kilometer Höhe, einem Kilometer Breite und zwei Kilometern Länge. Und natürlich zig Bruchstücke davon, die sich über die Jahrtausende über die Umgebung verteilt haben. Dazu später.

Das Ziel der ersten Tagesetappe ist die Britanniahütte auf 3030 m. ü. M., die einen spektakulären Blick auf die Bergkulisse bietet. Die 300 Höhenmeter bis zur Hütte führen grösstenteils durch Schnee, da wir nach einem schneereichen Frühjahr zu Sommerbeginn unterwegs sind. Das Wetter ist launisch. Spektakuläre Aussicht wechselt im Halbstundentakt mit Wolkensuppe. Die Höhe sorgt für dünne Atemluft.

Jürg Meyer hat als junger Geologe am Allalin-Gabbro geforscht und Erstaunliches zutage gefördert. Irgendwie hat ihn das Thema nie losgelassen. Warum, das wollen wir bei dieser Wanderung herausfinden. Trotz der Höhe geschuldeter Kurzatmigkeit folgen wir Meyer beim Endspurt, dem steilen Aufstieg zur Britanniahütte. Beim währschaften Abendessen füllt er die Wartezeiten zwischen Suppe, Fleischvogel und Dessert mit einem begeisterten Vortrag über den Gabbro. Und wirklich, bei dessen Entstehung ging es buchstäblich derart drunter und drüber, dass man Meyers Faszination mehr und mehr versteht.

Gesteine seien die Geschichtsbücher der Erde, stellt er fest. «Nur sind diese Bücher meist in einem ziemlich desolaten Zustand. Sie haben Löcher drin. Ganze Seiten fehlen. Andere sind mehrfach überschrieben. Je älter die Steine, umso undeutlicher wird sozusagen die Schrift.» Beim Allalin-Gabbro wurde besonders viel «herumgekritzelt». Er kommt in einer verwirrenden Vielfalt von Farben und Erscheinungsformen daher. «Immer wieder wurde das Material in der Tiefe unter hohen Temperaturen und Drücken umgewandelt, nach oben geschoben und wieder umgewandelt.»

Meyer selbst konnte in seiner Doktorarbeit nachweisen, dass die Entstehungsgeschichte des Allalin-Gabbro in eindrückliche 80 bis 90 Kilometer Tiefe führte. Erst im Verlauf der letzten Millionen Jahre wurde er auf vier Kilometer über der Erdoberfläche hochgehoben und kam dort als Teil des majestätischen Allalinhorns zur Ruhe, das wir heute als den am leichtesten zu besteigenden Viertausender der Schweiz kennen. Er wird das Ziel des zweiten Teils unserer Wanderung sein.

«Gewöhnlich löscht jede Metamorphose, also jede Phase, in der das Gestein umgewandelt wird, die vorherigen Entstehungsphasen aus. Beim Allalin-Gabbro kann man alle Phasen noch im Gestein nachweisen, bis zurück zur ersten Entstehung als plutonisches Gestein. Das ist eine Sensation in der Geologie», sagt Meyer. Vermutlich gab es in der Gesteinsmasse immer wieder geschützte Bereiche, in denen sich der vorherige Zustand erhalten hat. «Stellen Sie sich das vor wie gefrorenen Kuchenteig, den Sie beim Auftauen kneten. Darin enthaltene Schokoladenwürfel werden durch das Kneten aussen durchaus weich und verteilen sich um. Innen aber bleiben sie unverändert fest.»

Millionen Jahre Erdgeschichte im Rucksack

Nach einer Nacht auf der Hütte geht es am nächsten Morgen zur Seitenmoräne des Allalingletschers. Jürg Meyer will dort zeigen, was er mit der Vielfalt ein- und desselben Gesteins meint. Die Moräne ist sozusagen das Allalinhorn in kleinen Stücken zum Mitnehmen. Der Gletscher transportiert seit vielen Tausenden Jahren Gesteinsbrocken Richtung Tal. Wir haben eigens Platz im Rucksack gelassen, um einige mit ins Tal nehmen zu können.

Für die heutige Tagesetappe füllen wir noch den von der Hütte bereitgestellten Tee für unterwegs in unsere Flaschen und überqueren dann zuerst den Hohlaubgletscher, um nach einer Etappe durch den letzten Schnee schliesslich zur Seitenmoräne das Allalingletschers vorzudringen.

Das ist die Besonderheit dieser Route: Mit Bergerfahrung und einfacher Ausrüstung in Form von Grödeleisen kann man hier einen Gletscher queren. Jürg Meyer ist die Route schon unzählige Male gegangen. Stets auf der Suche nach Handstücken dieses speziellen Gesteins, die seine Sammlung ergänzen. Als wir nach einer guten Stunde durch Schnee und Geröll an der Gletschermoräne angelangt sind, legt Meyer schnurstracks seinen Rucksack ab, und los geht es mit der Suche nach besonderen Handstücken. Es sammelt sich einiges an. Auch bei uns. Ein Stein ist schöner als der andere. Nur die Aussicht, die zusätzlichen Kilos bis ins Tal tragen zu müssen, sorgt dafür, dass wir es bei den allerschönsten Stücken belassen. Während Meyer an verschiedenen Stücken die Entstehungsphasen erklärt, wird die unglaubliche Vielfalt dieses Gesteins immer eindrücklicher. Tatsächlich – man sieht bald selbst einzelne Phasen, in denen die Musterung je nach Entstehungsphase verblüffend unterschiedlich und doch charakteristisch ist. Als wir nach dem Abstieg durch die eindrückliche Landschaft wieder im Tal ankommen, bleiben uns die leuchtend grünen Handstücke als Erinnerung. 164 Millionen Jahre Erdgeschichte im Rucksack.

Wer sich nicht berggängig genug fühlt: Das Allalinhorn ist entgegenkommend. Die eiszeitlichen Gletscher aus dem Wallis erstreckten sich einst bis ins Mittelland, und die Gletscherflüsse transportierten das Gestein noch weiter ins Land. Man kann grosse Findlinge und kleine grün gemusterte Kiesel bei Spaziergängen im ganzen Mittelland zwischen Aarwangen und der Region Genf in Äckern und an Flüssen finden. Wenn man erst einmal um sie weiss, ist ihr Grün unverwechselbar. «In der Romandie ist es fast schon ein Volkssport, Allalin-Gabbro zu sammeln. Seine Verbreitung ist ein eindrücklicher Beweis, wie weit die Macht des Eises einst reichte», sagt Meyer. Viel Vergnügen beim Sammeln!

Die Wanderroute

Tag 1: Ab Saas-Fee mit dem Alpin Express nach Felskinn oder bis zur Mittelstation Morenia. Von dort in 1,5 Stunden Wanderzeit (ab Felskinn) oder 2,5 Stunden (ab Morenia) zur Britaniahütte SAC. Der Weg ab Felskinn ist eine Stunde kürzer, aber manchmal gegen Ende der Saison nicht mehr begehbar. Beide Varianten sind blauweiss markierte Bergwege T3. Nach dem Einchecken in der Hütte bietet sich noch ein kleiner Abstecher zum benachbarten Klein Allalin (3069 m) an, der eine wunderbare Aussicht auf das Gebiet mit seinen drei Viertausernden Strahl-, Rimpfisch- und Allalinhorn bietet. Die geologische Situation wird dort oben neuerdings mit einer Panoramatafel illustriert.

 

Tag 2: Es geht zur Seitenmoräne des Allalin-gletschers. In Jürg Meyers Worten: «Das hier ist die Toptour, auf der man in Höhe von 3000 Metern und ohne Alpinausrüstung sogar eine Gletschertraversierung machen kann. Geologisch und landschaftlich ein absolutes Highlight.» Für die Gletschertraversierungen sind Steig- oder Grödeleisen zu empfehlen. Die Wanderung führt über den Hohlaubgletscher zur Seitenmoräne des Allalingletschers. Dort kann man sich aus der Moräne schöne Exemplare des Allalin-Gabbro auslesen. Ebenfalls Bergweg T3. Der Abstieg führt über den Hohlaubgletscher und den Schwarzbergkopf (2868 m) zur Staumauer Mattmark (2204 m). Diese besteht grossteils aus schönen Allalin-Gabbro-Blöcken. Von dort geht es mit dem Postauto zurück nach Saas-Fee. Die Strecke beträgt 6.5 km mit 130 m Aufstieg und 950 m Abstieg.

 

Jürg Meyer

Dr. phil. nat. Jürg Meyer ist Geologe und eidg. dipl. Bergführer, selbstständiger Berater, Ausbildner und Texter in den Bereichen Berge / Geologie / Umwelt.
Auf seiner Website finden Sie weitere Informationen zu seinem Buch und geführten Exkursionen:
rundumberge.ch