Das Parlament befasste sich ein gutes Jahr mit einer Revision des Umweltschutzgesetzes. Wichtigster und zugleich umstrittenster Teil bildeten die Vorgaben zum Bauen an lärmbelasteten Standorten. Die Motion Flach (16.3529) sollte umgesetzt werden, welche die Lüftungsfensterpraxis im Umweltschutzgesetz (USG) verankern wollte. Im Verlauf der parlamentarischen Debatte wurde die Motion jedoch nur in abgeschwächter Form angenommen. Bei der Lüftungsfensterpraxis sind die Immissionsgrenzwerte (IGW) nur noch bei einem Fenster jedes lärmempfindlichen Raums einzuhalten und nicht wie heute bei jedem Fenster. Das Bundesgericht lehnte im Jahr 2016 diese Praxis ab, weil sie dem geltenden USG widerspreche; insbesondere werde dadurch der vom Gesetzgeber gewollte Gesundheitsschutz ausgehöhlt. Das Bundesgericht verweist auf den Weg der Ausnahmebewilligung, zumal mit dieser den wichtigen Anliegen der Raumplanung, namentlich der Siedlungsverdichtung und -entwicklung nach innen, Rechnung getragen werden könne (BGE 142 II 100). Jedoch wurden in der Folge mehrere grosse Bauprojekte, beispielsweise in Zürich, aufgrund der strengen Voraussetzungen für die Ausnahmebewilligungen vom Bundesgericht für unzulässig erklärt. Vielfach wurde der Lärmschutz von Nachbarn oder Gegnern dazu missbraucht, Bauprojekte zu verhindern oder für lange Zeit zu blockieren.
Komplizierter Kompromiss
Im Rahmen der parlamentarischen Debatten wurden verschiedene Vorschläge diskutiert. Schlussendlich einigten sich die Räte auf folgenden äusserst komplizierten Kompromiss (Baubewilligung in lärmbelasteten Gebieten, Art. 22 USG):
Können an einem lärmbelasteten Standort die IGW nicht eingehalten werden, darf eine Baubewilligung nur erteilt werden, wenn:
a. bei jeder Wohneinheit:
1. zur Be- und Entlüftung der lärmempfindlichen Räume eine kontrollierte Wohnraumlüftung installiert wird, und
– ein Kühlsystem vorhanden ist oder
– mindestens ein lärmempfindlicher Raum über ein Fenster verfügt, bei dem die IGW eingehalten sind,
2. mindestens die Hälfte der lärmempfindlichen Räume über ein Fenster verfügt, bei dem die IGW eingehalten sind, oder
3. mindestens ein lärmempfindlicher Raum über ein Fenster verfügt, bei dem die IGW eingehalten sind, sowie ein privat nutzbarer Aussenraum zur Verfügung steht, bei dem die IGW eingehalten sind; und
b. der bauliche Mindestschutz gegen Aussen- und Innenlärm angemessen und verhältnismässig verschärft wird.
Einfachere Lösung bevorzugt
Der HEV Schweiz hätte nach Rücksprache mit Experten eine weniger komplizierte und in der Praxis einfacher umsetzbare Lösung bevorzugt, die weniger Planungsaufwand und Kosten nach sich zieht. Er hätte die Verankerung der bereits erprobten Lüftungsfensterpraxis im USG begrüsst. Vor dem vorgenannten Bundesgerichtsentscheid haben rund die Hälfte der Kantone eine Baubewilligung erteilt, wenn die Lüftungsfensterpraxis erfüllt wurde. Im Alltag der realisierten Bauten hat dies keine Probleme bereitet. Diese Praxis ist etabliert und bietet eine einfache Lösung. Sie wurde bereits vielfach erfolgreich realisiert. Der HEV Schweiz begrüsst aber im Grundsatz, dass endlich ein Kompromiss gefunden werden konnte und der Lärmschutz gelockert wird. Denn eine Lösung tut Not, um das Bauen in lärmbelasteten Gebieten und die Siedlungsverdichtung nach innen zu ermöglichen. Es wird sich in der Praxis zeigen, wie die neue Regelung eine Verbesserung fürs Bauen an lärmbelasteten Standorten bringen wird. Denn der Teufel liegt bekanntlich im Detail – die neue Regelung muss auf Verordnungsstufe erst noch konkretisiert und umgesetzt werden.
Lange Umsetzungsdauer zu erwarten
Das Referendum gegen die Lockerungen des Lärmschutzes blieb aus, obwohl dieses mehrfach in der parlamentarischen Debatte angedroht wurde. Die Referendumsfrist lief am 16. Januar 2025 ungenutzt ab. Das Inkrafttreten der geänderten Bestimmungen wird allerdings noch längere Zeit dauern, da das Bundesamt für Umwelt die konkrete Umsetzung in der Verordnung noch genauer ausführen muss. Beispielsweise bestehen derzeit keine IGW für den Aussenraum. Eine solch lange Dauer der Umsetzung führt zu Planungs- und Rechtsunsicherheit. Der HEV Schweiz erwartet, dass mit der Ausarbeitung der Verordnung rasch begonnen wird, zumal seit der Einreichung der Motion Flach (siehe oben) neun Jahre vergangen sind und die bestehende Planungs- und Rechtsunsicherheit nicht haltbar ist.
«Es wird sich in der Praxis zeigen, wie die neue Regelung eine Verbesserung fürs Bauen an lärmbelasteten Standorten bringen wird.»