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Aus dem Alltag eines Geruchsdetektivs

In seinem Berufsalltag geht Jean-Marc Stoll mysteriösen Gerüchen nach und versucht, deren Ursprung ausfindig zu machen. Der Geruchsdetektiv nimmt uns bei einem seiner Fälle mit.

Als Geruchsdetektiv bin ich Experte darin, versteckte Geruchsquellen aufzuspüren und zu analysieren. An einem sonnigen Morgen im Spätsommer treffe ich einen Abwart, der einen Neubau im Industriequartier von Zürich betreut. Dort, wo früher Turbinen und Maschinen produziert und in die ganze Welt verkauft wurden, wachsen heute Büro- und Wohngebäude wie Pilze aus dem Boden. Wobei «Pilze» eigentlich ein schlechter Vergleich ist: Die Gebäude sind eckig, aus edlen Materialien und mit viel Glas. Der Abwart hat mich kontaktiert, weil es in seinem Gebäude stinkt. Es begann kurz nach dem Einzug und betrifft nur eine Männertoilette. Fast so, als würde da einer regelmässig daneben pinkeln – absichtlich oder unabsichtlich. Ich höre oft solche Geschichten: Der Nachbar wird verdächtigt, übermässig viel Reinigungsmittel zu verwenden oder böswillig zur nachtschlafenden Stunde Fisch zu braten. Meine Aufgabe ist es dann, die Hinweise ernst zu nehmen und keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.

Es kommt schon vor, dass die Menschen, die sich bei mir melden, eher einen Mediator bräuchten als einen Geruchsdetektiven. Manchmal haben sie auch einen sehr guten Geruchssinn und nehmen Gerüche wahr, die andere nicht riechen. Oft wurden Gebäude aber auch einfach unsorgfältig gebaut. Die Frischluft wird direkt neben dem Abluftrohr angezogen, oder die Druckverhältnisse führen dazu, dass stinkende Luft aus einer Garage oder aus einem Abwasserkanal in das Lüftungssystem gezogen wird.

Ich nehme also alle Meldungen ernst, vertraue aber auf meine Messgeräte, die ich in meinen zwei Köfferchen dabeihabe. So auch heute im Zürcher Industriequartier. Als Erstes messe ich mit meinem Sensor die Konzentrationen von flüchtigen Kohlenwasserstoffverbindungen, finde aber keine Auffälligkeiten. Ich wechsle den Sensor und messe die Schwefelwasserstoff-Konzentrationen.

Schwefelwasserstoff riecht nach faulen Eiern und ist ein Indikator für Abwassergeruch. Und siehe da: Die Konzentrationen sind im hinteren Teil der Toilette leicht erhöht. Ich inspiziere diesen Teil der Toilette genauer, finde aber keine Auffälligkeiten. Alles neue Installationen aus edlen Materialien, die sehr schön verarbeitet wurden. Ich nehme aus meinem zweiten Koffer ein Rauchröhrchen und untersuche die Luftströmungen im Raum. Hier finde ich erneut einen Hinweis: Bei einem WC hat es einen ganz feinen Spalt in der Mauer, dort, wo das Abwasserrohr durch die Mauer geführt wird. Aus diesem Spalt strömt ein schwacher Luftstrom. Das könnte die gesuchte Geruchsquelle sein. Die gemessenen Konzentrationsunterschiede sind aber sehr schwach und reichen mir noch nicht für eine definitive Beurteilung. Nach Absprache mit dem Abwart klebe ich den verdächtigten Bereich mit einer geruchsfreien Folie ab und trenne ihn damit vom restlichen Raum. Der Abwart schliesst das betroffene WC, und wir vereinbaren ein weiteres Treffen für den nächsten Tag.

24 Stunden später treffe ich wieder im Industriequartier ein und gehe mit dem Abwart und meinen beiden Köfferchen zum «Tatort». Diesmal ist der Unterschied der Messungen frappant. Unter der Folie messe ich eine um 20-mal erhöhte Konzentration von Schwefelwasserstoff. Das Corpus Delicti ist enttarnt! In der Steigzone hinter dem WC ist der Druck leicht höher als im Toilettenraum. Das führt dazu, dass die Luft dort aus der Steigzone austritt, wo der Widerstand am kleinsten ist: zufälligerweise in dieser einen Toilette. Einmal mehr stand am Anfang der Lösung ein guter Hinweis, kombiniert mit einem falschen Verdacht. Was folgt, ist einfach. Ich fahre zurück ins Büro und verfasse meinen kurzen Bericht. Darin empfehle ich dem Abwart, die Druckverhältnisse in Steigzone und Sanitärbereich derart zu ändern, dass der Druck in der Steigzone kleiner ist als in allen Gebäudeteilen.

Nicht immer verlaufen meine Einsätze so erfolgreich. Manchmal treffe ich vor Ort gar keinen Geruch an. Dann ist es schwierig bis unmöglich zu beurteilen, ob das daran liegt, dass der Geruch nur unregelmässig da ist oder ob die Bewohner einfach über einen sehr ausgeprägten Geruchssinn verfügen. Manchmal ist die Geruchsquelle auch nicht so eindeutig lokalisiert, sondern diffus verteilt, z. B. in einem feuchten Gebäudeteil in Altbauten. Dann kann ich nur mit Ratschlägen zur Symptombekämpfung helfen. Für heute war ich aber wieder einmal erfolgreich. Ich trete gutgelaunt aus dem Neubau und genehmige mir im benachbarten Gartenrestaurant eine Pause – angezogen vom Duft nach Kaffee und frischen Gipfeli.

«Ich nehme also alle Meldungen ernst, vertraue aber auf meine Messgeräte, die ich in meinen zwei Köfferchen dabeihabe.»

Kompetenzzentrum für Mathematik und Naturwissenschaften KMN

Die Geruchsdetektive sind eine Dienstleistung des Kompetenzzentrums für Mathematik und Naturwissenschaften KMN an der Ostschweizerischen Fachhochschule OST in Rapperswil.
 

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Zur Person

Prof. Dr. Jean-Marc Stoll ist Fachbereichsleiter Angewandte Chemie an der Ostschweizerischen Fachhochschule OST.

Für weitere Informationen und Fragen: jeanmarc.stoll@ost.ch