Fragt man den jungen Architekten Lukas Lenherr, der in Quinten am Walensee sein Büro führt, was ihn am Bau eines Einfamilienhauses reizt, lautet die Antwort: «Es ist nicht mal der Reiz am Einfamilienhaus selber, sondern es ist der Reiz an Umbauten und Ausbauten von bestehenden Gebäuden und Scheunen. Von Letzteren hat es sehr viele in der Schweiz, und die stehen ungenutzt in den Dorfkernen. Ihnen Leben einzuhauchen, ist interessant, und ich sehe diese Häuser als Experimente, wie Wohnraum spannend gemacht werden kann. Die Probleme sind immer in etwa die gleichen. Die Scheunen sind nur umnutzbar mit einer Bestandsgarantie. Sämtliche Grenzstrassen und weitere Abstände können nicht eingehalten und müssen mit der Gemeinde diskutiert werden. Brandschutz ist sicher auch immer ein grosses Thema sowie auch die Parkierung der Fahrzeuge.»
Sehr gross ist die Scheune aus dem Jahr 1850, die Lukas Lenherr in Männedorf in ein Familienheim verwandelte, nicht. Sie bietet heute 149 Quadratmeter Wohnfläche. Die Bauherren kannten ein Projekt, das eine ähnliche Ausgangssituation hatte und schätzten Lenherrs Umgang mit dem Bestand. Im Dezember 2022 zogen sie ein.
Sechs Fichtenrahmen stützten die bestehende Tragstruktur aus Holz während der Bauphase. Sie blieben später sichtbar und gliedern heute den Raum, vertikale und horizontale Scheiben stabilisieren. Die unterschiedlichen Öffnungen – mal sind es innere Fenster oder Klappen, mal Katamaran-Netze – gestalten den dreigeschossigen Innenraum und verbinden sich zu einem grossen Lebensraum vom Erdgeschoss bis unter das Dach. Zugleich lassen sich die Räume nach dem amerikanischen «Shotgun House»-Prinzip erfahren, also einem schmalen, langen Haus, das traditionell keinen Flur hat und in dem die Zimmer direkt miteinander verbunden sind. Wie früher schaut die Scheune in ihrem Grundvolumen und der Dachform aus, schliesslich steht sie im Ensemble denkmalgeschützter Bauten, auch wenn sie selbst nicht geschützt ist.
Nur an den Fensteröffnungen ist zu erkennen, dass hier heute gewohnt wird, auch wenn auf zwei Fassadenseiten die Fenster hinter manuell einstellbaren, schwarzen Holzlamellen je nach Betrachtungswinkel kaum wahrnehmbar sind. Die neue Weisstannen-Stülpfassade wurde mit der Yakisugi-Methode verkohlt. Die Hölzer werden nun wieder mehrere Generationen lang halten. Callwey Verlag
«Scheunen hat es in der Schweiz viele, und einige davon stehen ungenutzt in den Dorfkernen. Ihnen Leben einzuhauchen, ist interessant, und ich sehe diese Häuser als Experimente, wie Wohnraum spannend gemacht werden kann.»
Häuser des Jahres 2023
Zum 13. Mal lobte der Callwey Verlag den Wettbewerb «Häuser des Jahres – die besten Einfamilienhäuser» aus. Die Jury erkor aus 131 Einreichungen 50 Projekte und benannte aus diesen einen Preisträger, sechs Anerkennungen und einen Fotografiepreis. Dabei wurde Wert auf Nachhaltigkeit, innovativen Einsatz von Materialien, kreativen Umgang mit der baulichen Situation und auf konsequente Ausführung gelegt. Das Buch zum Wettbewerb präsentiert diese 50 besten Häuser.
Autorinnen: Judith Lembke / Katharina Matzig. 416 Seiten, ca. 450 farbige Abbildungen und Pläne. 23 x 30 cm, gebunden, ISBN 978-3-7667-2645-2. Das Buch ist in jeder Schweizer Buchhandlung oder im Onlineshop von Callwey erhältlich.
Das Urteil der Jury
Die Scheune erhielt beim Wettbewerb «Häuser des Jahres 2023» eine Anerkennung. So begründet die Jury ihr Urteil.
Im gewachsenen Dorfkern der Gemeinde Männedorf stand sie, die Scheune aus der Mitte des 19. Jahrhunderts – die Holzfassade verwittert, die Tragstruktur mehr als marode. Der Architekt Lukas Lenherr hat sich dem unscheinbaren Nutzgebäude, das Teil eines historischen Ensembles ist, angenommen. Wohl die meisten hätten die letzte Stunde des baufälligen Schuppens eingeläutet und ihn dem Erdboden gleichgemacht, um einen Neubau aus dem Boden stampfen zu können. Doch der Architekt ging nicht diesen einfachen Weg. Lukas Lenherr erkannte den Wert der schlichten Scheune in Bezug auf die Nachbargebäude und das Dorf selber. Der Architekt entwickelte mit Sorgfalt, Geschick und Weitblick ein überzeugendes Konzept und dabei auch eine neue Tragstruktur, bestehend aus sechs Fichtenrahmen, die das Gebäude in einem ersten Schritt vor dem Verfall retteten und heute dem neuen, offenen Raumgefüge Halt und Ordnung schenken. Buchstäblich wie Phoenix aus der Asche erstrahlt heute das neue Gebäude mit einer Fassade aus verkohlten Weisstannenbrettern. Als wäre sie nie fort gewesen, steht die Scheune wie selbstverständlich an der Strasse. Nach wie vor versteht sie sich als integrierender Teil des Dorfgefüges. Aussen ist die Scheune zurückhaltend wie einst der alte Schuppen, im Inneren überrascht sie mit ihrer Wohnnutzung und einem vielschichtigen sowie erlebnisreichen Raumgefüge. Trotz der kleinen Grundmasse strahlen die Innenräume Grosszügigkeit und zeitgemässe Gemütlichkeit aus.
Mit der Umnutzung der alten Scheune hat es Lukas Lenherr geschafft, den Dorfkern räumlich und sozial zu verdichten. Das Projekt nimmt sich zurück, ist auf den ersten Blick leise, überzeugt auf den zweiten Blick zugleich mit einer klaren Architektursprache und einem starken Konzept. Lukas Lenherr zeigt in einer Zeit von Klimadebatte und der Diskussion um Nachhaltigkeit neue, überraschende Wege auf. Roland Merz