Sitzmöbel-Trends

Sehnsucht nach Geborgenheit

Auch das Jahr 2022 startete für die Möbelbranche nicht wie erhofft mit einem Messe-Marathon. Doch still stand die Einrichtungswelt trotz Pandemie nicht. Hier kommen die neuen Sitzmöbel für die Wohnsaison 2022.

von Andrea Eschbach

Journalistin, Zürich

Die Pandemieerfahrung der letzten Monate hat unter anderem dazu geführt, dass wir es uns zu Hause behaglich machten. War unser Zuhause zuvor lediglich ein Teilbereich des Lebens, verbrachten wir auf einmal so viel Zeit wie nie zuvor in den eigenen vier Wänden. In Zeiten, in denen alles unbeständig scheint, besinnen sich viele auf das Wesentliche und sehnen sich nach Sicherheit und Ruhe: Das eigene Zuhause wird zum natürlichen Rückzugsort.

Die Sehnsucht nach Geborgenheit zeigt sich vor allem bei den Polstermöbeln. So wird der Sessel «N-S03» mit seiner niedrigen Gesamthöhe und der weichen, organischen Form zum Mittelpunkt von Ruhe und Stabilität. Der Entwurf von Norm Architects für das japanische Label Karimoku Case Study besteht aus einer weich gepolsterten Sitzfläche und Rückenlehne, die von vier robusten zylindrischen Beinen aus Massivholz getragen werden.

Der deutsche Hersteller COR ergänzt die Kollektion «Jalis» von Jehs+Laub um einen Lounge-Sessel, der den Körper wie ein Kokon umschliesst. Der fliessende Übergang zwischen der Sitzfläche und den beiden Armlehnen erinnert an ein doppelt gefaltetes Kissen. Mit optisch betonten Konturen und fester Polsterung wirkt er ebenso elegant wie gemütlich. Kein Trend ohne Gegentrend: Die im vergangenen Jahr unerwartet verstorbene französische Designerin Pauline Deltour entwarf für COR den Wangensessel «Noto», ein reduzierter Entwurf mit schmalen, filigran gepolsterten Wangen. Das Prinzip der vier rechteckigen zusammengesetzten Polsterflächen erhält seine Leichtigkeit durch den Schlitz zwischen geschwungener Rückenlehne und Sitzpolster.

Trendmaterial Bouclé

Bouclé ist bei den Bezugsstoffen derzeit das Material der Stunde. Denkt man bei dem dicken, flauschigen Stoff zunächst an das weltberühmte Coco-Chanel-Kostüm der 1950er-Jahre, feiert er nun ein fantastisches Comeback im Interior-Design. So schmückt der weiche Zwirn den Stuhl «Nana». Der Entwurf des deutschen Shootingstars Hanne Willmann für den Hersteller Freifrau ist eine gelungene Verbindung aus Softness und geradliniger Designsprache. Trotz seines weichen, voluminösen Looks besticht der Stuhl durch Eleganz und Raffinesse. Das Sitzpolster schmiegt sich in ein Gestell aus pulverbeschichtetem Stahlrohr. «Als sässe man auf Wolken», lautete Willmanns Anspruch. «Nana soll Geborgenheit ausstrahlen. Wenn man sich setzt, soll man ein Gefühl von Zuhause haben.»

Auffällig ist derzeit der Hang zum Runden. Der Sessel «Lunam» von Kartell ist inspiriert von einer Mondlandschaft. Gepolstert mit weissem Bouclé sind die abgerundeten Sitzelemente visuell wie haptisch unübertrefflich gemütlich. Gehalten werden die einzelnen Polsterelemente von runden Füssen aus schwarzem Metall, die dem Entwurf von Patricia Urquiola etwas Graziles geben.

Gefragt sind derzeit auch kompakte Möbel wie Monica Armanis Entwurf «Flair O’» für B&B Italia. Beim Esszimmer-Stuhl hält ein rundum mit Stoff bezogenes, kegelförmiges Standbein die gepolsterte, mit einladender Rückenlehne umfasste Sitzschale.

Nachhaltiges Design mit Zukunft

Nachhaltigkeit wird die Designentscheidungen der Zukunft prägen. Das Material und dessen Herkunft, die ökologische Verarbeitung, aber auch das Vermeiden von Produktionsabfällen sowie die Möglichkeit des Recyclings spielen eine bedeutende Rolle. Kein Wunder, feiert Naturholz gerade ein furioses Revival: Hochwertige Möbel aus Holz sind langlebig, schadstoffarm und für ein ganzes Menschenleben gemacht. Bugholz und Rohrgeflecht prägen den neuen Sessel 119 von Sebastian Herkner. Der aufs Wesentliche reduzierte Loungechair für den Bugholzspezialisten Thonet unterstreicht in Formgebung und Fertigung die Balance zwischen Tradition und Innovation. «Deshalb passt der Sessel so gut zu Thonet», erklärt Designer Sebastian Herkner. In der Herstellung kommen erneut Handarbeit und Technologie zusammen: Einzelne Bauteile werden handwerklich im Bugholzverfahren gefertigt, andere wiederum durch neueste CNC-Technologie umgesetzt.

Umweltfreundlich ist auch die Reedition des ikonischen «Soriana»-Sessel von Cassina: Der Entwurf von Afra und Tobia Scarpa aus dem Jahr 1969 behält zwar seine charakteristische runde Form und Polsterung, die Bezüge aber lässt das italienische Label nun nachhaltig und umweltfreundlich produzieren. Bei dem markanten Möbel wird die opulente Polsterung aus Polyesterwatte durch Metallbügel in Form gehalten. Mit der Wiederauflage knüpft Cassina auch an das Revival der 1970er-Jahre an. Nachdem sich eine gewisse Midcentury-Müdigkeit ausgebreitet hat, hat man nun die jüngere Vergangenheit wiederentdeckt. Ganz trendig hüllt sich das Möbel nun auch in leuchtendes Orange.

In Zeiten, in denen alles unbeständig scheint, besinnen sich viele auf das Wesentliche und sehnen sich nach Sicherheit und Ruhe. Das widerspiegelt sich in den diesjährigen Möbeltrends.