Vogelwelt

Richtige Hilfe für gefiederte Nachbarn

von Livio Rey

MSc Biologie, Mitarbeiter Öffentlichkeitsarbeit, Schweizerische Vogelwarte, Sempach

Es ist zwar keine alltägliche Situation, und doch kommt es regelmässig vor: Beim Wandern, im eigenen Garten oder auf der Terrasse sieht man einen Vogel am Boden, der bei Annäherung nicht wegfliegt. Meist möchte man dem Vogel helfen, weiss aber nicht recht, wie. In solchen Fällen kann die Schweizerische Vogelwarte unterstützen: Sie bietet einen Telefondienst, der an 365 Tagen im Jahr während der Bürozeiten erreichbar ist und bei der Einschätzung der Situation und der Weitervermittlung an Pflegestationen hilft. Unter keinen Umständen sollte man einen Vogel selbst pflegen. Dies ist gesetzlich nicht erlaubt und bedarf neben umfangreicher Erfahrung in der Pflege auch einer Bewilligung.

Ist der Vogel offensichtlich verletzt, sollte er so schnell wie möglich in eine Pflegestation gebracht werden. Dasselbe gilt für sämtliche Katzenopfer. Diese tragen stets Bissverletzungen davon, auch wenn äusserlich keine Wunden sichtbar sind, und können an den dadurch entstehenden Infektionen sterben. Dabei ist ein vorgängiger Anruf bei der Pflegestation stets sinnvoll, denn so können Kapazitäten und Details zum Transport des Vogels geklärt werden.

Handelt es sich um grosse und wehrhafte Vögel wie Greifvögel, Eulen, Reiher oder Störche, ist es empfehlenswert, die Wildhut oder die Polizei beizuziehen. Schwieriger wird die Einschätzung bei Kleinvögeln, die keine offensichtliche Verletzung aufweisen.

Häufiger als man denkt: Glasopfer

Jährlich sterben Hunderttausende Vögel durch Kollisionen mit Glasscheiben (siehe auch HEV-Ausgabe Nr. 8 / 1. Mai 2020). Häufig endet der Aufprall für die Vögel tödlich. In manchen Fällen sind die Vögel hingegen «nur» verletzt oder bestenfalls benommen. Findet man in der Nähe einer Glasscheibe einen teilnahmslos am Boden sitzenden Vogel, sollte man ihm etwas Zeit geben, um zu sehen, ob er sich von selbst erholt. Hierzu legt man den Vogel in eine Kartonschachtel, die Luftlöcher hat und mit Haushaltspapier ausgekleidet ist. Die Kiste stellt man für zwei bis drei Stunden an einen ruhigen, dunklen und warmen Ort, damit sich der Vogel erholen kann. Wasser oder Futter sollte man nicht geben. Nach zwei bis drei Stunden stellt man die Kiste ins Freie und schaut, ob der Vogel von selbst aus der Kiste fliegen kann. Kann er dies nicht, gehört er in die Hände von Mitarbeitenden einer professionellen Pflegestation.

Meist ist keinEingreifen nötig: Jungvögel

Unsere Singvögel zählen zu den sogenannten Nesthockern. Nach dem Schlüpfen sind die Jungen zunächst blind und unbefiedert, sie sind folglich vollständig von ihren Eltern abhängig und werden von diesen während rund zwei bis drei Wochen umsorgt. Anschliessend fliegen sie aus. Amseln, Hausrotschwänze und einige andere Arten verlassen das schützende Nest manchmal bereits, bevor sie richtig fliegen können. Sie sind aber voll befiedert und können herumhüpfen. Somit sind sie gut gerüstet, um ausserhalb des Nestes zu überleben, und werden von ihren Eltern noch einige Zeit gefüttert, bis sie selbstständig sind. Für die Vogelfamilie ist dieses frühe Losziehen des Nachwuchses ein Vorteil – getrennt voneinander sind die Jungvögel für Feinde nämlich schwieriger zu entdecken.

In den meisten Fällen sind am Boden oder in einem Gebüsch sitzende Jungvögel nicht hilfsbedürftig. Es wäre falsch, sie mitzunehmen, zumal selbst die kompetenteste Pflegeperson die Aufzucht nie so geschickt meistert wie die Vogeleltern. In menschlicher Obhut aufgezogene Jungvögel dürften daher eine geringere Überlebenschance haben. Unterstützung brauchen Jungvögel also nur, wenn sie sich in akuter Gefahr befinden oder zu früh aus dem Nest gefallen sind. Als Jungvögel erkennt man sie übrigens an den hellen Winkeln des Schnabels, dem sogenannten Schnabelwulst.

Befinden sich die Jungvögel auf einer Strasse oder lauert ihnen eine Katze auf, können sie mit blossen Händen in ein nahe gelegenes Gebüsch gesetzt werden. Der Geruch des Menschen stört die Vogeleltern nicht, angefasste Jungvögel werden nach wie vor umsorgt. Wenn man unsicher ist, ob die Vogeleltern in der Nähe sind, beobachtet man den Jungvogel aus mindestens 50 Metern Distanz. Wenn er während einer Stunde nicht von den Eltern mit Futter versorgt wird, gehört er in eine Pflegestation.

Gelegentlich kommt es auch vor, dass Vogelkinder tatsächlich zu früh aus dem Nest fallen. Solche Pechvögelchen sind ohne Hilfe verloren. Man erkennt sie daran, dass sie nicht herumhüpfen können und meist kaum befiedert sind. Ist das Nest in der Nähe und zugänglich, kann man sie zurück ins Nest legen. Ist es nicht möglich, diese Piepmätze zurück ins Nest zu legen, sollten sie schnellstmöglich in eine Pflegestation gebracht werden.

Segler: der Spezialfall

Mauersegler sind meisterhafte Flieger, die nur während der Brutzeit festen Grund berühren, und auch dann nur an ihren hoch gelegenen Nistplätzen. Ein Mauersegler am Boden ist daher immer in einer Notsituation. Mit einem einfachen Test kann man schauen, ob der Gang in eine Pflegestation nötig ist: Auf einem übersichtlichen Gelände (Feld, kurzrasige Wiese oder ähnliches) hält man die flache Hand mit dem darauf liegenden Vogel auf Kopfhöhe und gibt ihm genug Zeit zum Abflug. Dabei kann man mit leichtem Wippen der Hand etwas nachhelfen, keinesfalls aber sollte man den Vogel in die Luft werfen! Ein gesunder Vogel wird mit dieser «Nachhilfe» wegfliegen. Falls der Vogel schon auf der Hand einen Flügel hängen lässt, zittert, das Gefieder sträubt oder trotz guten Aussehens nicht abfliegt, fehlt ihm etwas. Dann ist der Gang in eine Pflegestation unumgänglich.

Unter keinen Umständen sollte man einen Vogel selbst pflegen. Dies ist gesetzlich nicht erlaubt und bedarf neben umfangreicher Erfahrung in der Pflege auch einer Bewilligung.

Auskunft Vogelwarte Sempach

Die Schweizerische Vogelwarte Sempach betreibt eine eigene Pflegestation und berät Personen, die einen Vogel gefunden haben. Sie erreichen die Vogelwarte unter Tel. 041 462 97 00 (Mo-Fr 8-12 Uhr und 13.30-17 Uhr); an Wochenenden und Feiertagen ist ein Pikettdienst organisiert (9-12 Uhr und 13.30-17 Uhr). Weitere Informationen unter: vogelwarte.ch/jungvoegel und vogelwarte.ch/vogel-gefunden

Vogel gefunden – wie vorgehen?

Zum Herunterladen: Erfahren Sie auf einen Blick, wie Sie vorgehen müssen, wenn Sie einen Vogel am Boden finden.