Inneneinrichtung

Längst nicht mehr auf dem Boden geblieben

Terrazzo kennt man schon seit der Antike als Bodenbelag. Ob als Stein oder Print – immer öfter bereichert das charakteristische Sprenkelmuster auch unser Interieur.

von Silvia Schaub

Journalistin

In den letzten Jahren war der grosse Liebling vieler Inneneinrichter ganz klar: Marmor. Egal, ob auf Wänden, Möbeln oder Accessoires, überall tauchte das Naturmaterial auf. Neuerdings bekommt es aber harte Konkurrenz: von Terrazzo. Eigentlich ist er längst ein Evergreen, dieser Terrazzo. Alle paar Jahrhunderte – oder zumindest Jahrzehnte – taucht er wieder auf und wirkt stets so frisch und belebend, als hätte man ihn eben neu erfunden. Dabei gibt es den Bodenbelag schon seit der Antike. Damals wurde das bunt gesprenkelte Steinmuster von den Römern und Griechen in ihren mondänen Villen verwendet. Einer der ältesten Funde geht sogar auf die Zeit um 8000 vor Christus zurück und wurde im Südosten der heutigen Türkei entdeckt. Seine Hochblüte erlebte er in der Renaissance mit dem bekannten Terrazzo alla veneziana. In Italien wird dem «Terrazziere», also dem Terrazzo-Verleger, gar eine eigene Berufsbezeichnung zuteil.

Nicht ganz natürlicher Naturstein

Anders als Marmor ist der Terrazzo kein natürlicher Stein in dem Sinne, dass er so abgebaut werden kann. Dennoch spricht man von einem Naturstein, da der Terrazzo aus einem Gemisch aus natürlichem Kies, Marmor, Gesteinssplittern und Glas besteht. Dieses wird quasi «künstlich» mit einem Bindemittel (meist Kalk und Zement) zusammengesetzt. Die Herstellung ist ziemlich aufwendig, denn die Mischung muss gut durchgeknetet und verdichtet werden, damit sie die gewünschte Härte bekommt. Danach wird die Masse auf einen Unterboden aufgetragen und ausgehärtet. Damit sie die typische glänzende Oberfläche erhält, wird der Boden anschliessend geschliffen und gegebenenfalls gewachst und poliert.

In den Nachkriegsjahren des vergangenen Jahrhunderts tauchte er zuhauf in Schalterhallen und Treppenhäusern auf, was ihm die besondere Aura ein wenig nahm. Kein Wunder verschwand er dann wieder oder wurde mit billigeren Belägen überdeckt. Erst seit einiger Zeit haben ihn Influencer und Designer neu entdeckt. Die wieder entflammte Liebe zum eleganten Sprenkelmuster dürfte auch damit zu tun haben, dass das Material mit seiner Verwendung von unterschiedlichsten Gesteins- und Glasresten dem Wunsch nach Nachhaltigkeit nachkommt. Ausserdem ist der Stein durch seine Robustheit und Härte ausgesprochen langlebig und strapazierfähig, kann immer wieder abgeschliffen und so zu alter Frische aufpoliert werden.

Renaissance und neue Optiken

Wer da nun den entscheidenden Schritt bewirkte, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Ob tatsächlich einer der Vorreiter Wes Anderson war, der 2015 die Bar Luce in der Fondazione Prada in Mailand mit einem rosafarbenen Terrazzoboden ausstattete, ist letztlich auch egal. Hält man nämlich die Augen offen, begegnet man dem speziellen Boden wieder recht häufig. Vielleicht haben auch Rasa Weber und Luisa Rubisch zum neuen Verständnis für Terrazzo beigetragen. Die beiden Berlinerinnen verstehen sich mit ihrem Projekt «Urban Terrazzo» auch ein bisschen als Retterinnen von Materialien wie altem Marmor, Granit oder Klinkerziegeln. Anstatt dass diese erst auf Recyclinghöfen und schliesslich im Strassenbau unter dem Asphalt verschwinden, verwenden sie mit ihrem Kollektiv «They Feed Off Buildings» Überreste alter Gebäude, um neue Oberflächen in Terrazzo-Optik zu kreieren.

Auch der Kanadier Stéphane Halmaï-Voisard hat mit seinem «Terrazzo Project» zur Renaissance des Materials beigetragen. Nach seinem Studium in Lausanne begann er mit dem Baustoff zu experimentieren, verwendete statt Zement Epoxidharz, um seine Möbel leichter herzustellen, und brachte neue Optiken ins Spiel.

Auf eine noch höhere Ebene hebt der Steinbildhauer Christian Aubry aus Ilanz den Terrazzo. Was er mit seinem Unternehmen «Baukunst Graubünden» für das neu eröffnete Hotel Maistra 160 in Pontresina gestaltet hat, ist einzigartig und beeindruckend. Er und sein Team haben den Boden des gesamten Erdgeschosses samt Lobby, Reception, Restaurant und Bar in aufwendigster Handarbeit mit Terrazzo gestaltet. Die Terrazzo-Mischung ist nicht etwa zufällig erfolgt, sondern besteht nach intensiven Recherchen aus einem Steingemisch von der Südseite des Bernina, darunter Kalksteine, Marmor und hellgrüne Jade. Diese wurden anschliessend in mehreren Durchgängen am Boden von Hand gesetzt und Guss für Guss aufgebaut. Das ganze Prozedere bis zum fertigen Terrazzo-Boden im «Maistra 160» dauerte über fünf Monate. Seine wahre Wirkung entfaltete sich erst, als der Terrazzo abgeschliffen und poliert war. Ein Aufwand, der sich zweifellos gelohnt hat, ist doch der Boden nun im eher puristisch gehaltenen Bau ein wahrer Blickfang.

Natürlich braucht es die entsprechenden finanziellen Mittel, um einen solchen Terrazzo-Boden einzusetzen. Weil man oft nicht einfach so auf die Schnelle einen Bodenbelag austauschen kann oder – falls man zur Miete wohnt – darf, ist das so eine Sache mit dem Terrazzo. Aber muss er tatsächlich nur am Boden oder an der Wand bleiben? Nein, natürlich nicht. Wem grosse Flächen in diesem lebhaften Muster etwas gar zu viel sind, nähert sich dem Trend ganz unkompliziert über Deko-Accessoires oder Möbel an. So findet man das Muster inzwischen auf Kissen oder Lampen, Bettbezügen oder Geschirrtüchern. Auch als Teppich oder Vorhangstoff macht er eine gute Falle. Ja, selbst als simples Schneidbrettchen oder Blumenvase. Gerade durch die Kombination von Terrazzo-Objekten mit dem eher nüchternen skandinavischen Einrichtungsstil entstehen oft schöne Gegensätze im Wohnraum.

Immer ein Unikat

Da Terrazzo durch sein Sprenkelmuster stets mit individuellen Strukturen und Farbigkeit daherkommt, ist jedes Objekt sozusagen ein Unikat. Dieser Aspekt begeistert auch Keramik-Designer Laurin Schaub (nicht verwandt mit der Autorin) aus Bern. «Mich interessiert ebenso das Künstliche am Terrazzo», sagt er. «Durch die besondere Steinästhetik kann Terrazzo freier gestaltet werden und ist zudem reproduzierbar.» Allerdings produziert er seine Schalen und Vasen, die er zwar Terrazzo nennt, nicht im herkömmlichen Sinne, sondern spielt mit der Imitation. Es sind Stücke aus Porzellan, für die er die Herstellungslogik und die Optik von echtem Terrazzo aus Zement übernommen hat. Für die Mischung streut er Splitter von eingefärbtem Porzellan in die weisse Porzellanmasse. Anschliessend formt Schaub die Objekte und schleift diese nach dem Brennen, bis die schwarzen Teile sichtbar werden. Wunderbare Stücke, um Terrazzo im Kleinen zu geniessen.