Die neuen Sitzmöbel

Kiesel, Pasta und Knöpfe

Die 61. Ausgabe des Salone del Mobile in Mailand zeigte einmal mehr eine überbordende Fülle an neuen Produkten. Ein Rückblick auf die Sitzmöbel-Neuheiten von der bedeutendsten Möbelmesse der Welt.

von Andrea Eschbach

Journalistin, Zürich

Das Möbel ist ein wahrer Showstopper: Im altehrwürdigen Mailänder Palazzo Serbelloni war der Sessel «Binda» Teil der prachtvollen Inszenierung der Luxusmarke Louis Vuitton. Der Neuzugang in der Kollektion «Objets Nomades», ein Entwurf des britischen Duos Raw Edges, besticht durch fliessende und scharf geschliffene Linien sowie einen weichen Lederbezug mit kontrastierenden Paspeln. Von diesem Sessel gibt es nur 100 Stück zu kaufen – ein Kunstwerk, das man zu schätzen weiss.

Die 61. Ausgabe des Salone del Mobile, der grössten und bedeutendsten Möbelmesse der Welt, überraschte mit einer ganzen Reihe von starken Möbelentwürfen und guter Stimmung in der Designgemeinde. Über 307 400 Menschen besuchten das Messegelände Rho-Pero im April – 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Und auch die rund 950 Events der Fuori Salone zeugten davon, dass die Nachfrage nach dem Designevent nach der Pandemie nicht nachgelassen hat. Im Gegenteil: Man traf auf eine überbordende Anzahl beeindruckender Inszenierungen. Die französische Luxusmarke Hermès beispielsweise präsentierte ihre Kollektion für den Wohnbereich in der La-Pelota-Halle. In einer grafischen Darbietung aus Beton und Armier-Eisen konnte man unter anderem den Sessel «Ancelle» entdecken. Das von der dänischen Designerin Cecilie Manz entworfene Sitzmöbel beschränkt sich auf das Wesentliche: Sein solides Gerüst aus Massivholz wird mit einem Lederstück kombiniert, das die leichte, raffinierte Sitzfläche bildet. Dieser Sessel, der nach skandinavischer Tradition Robustheit mit Schlichtheit verbindet, setzt auf eine natürlich-elegante Konstruktion. Handwerklich auf höchstem Stand ist auch der neue Entwurf des Westschweizer Büros Atelier Oï für die Schweizer Ledermöbel-Manufaktur de Sede: Schwungvolle Wellen prägen das Sofa «DS-808». Die geschwungene Form reizt die Grenzen des Materialdesigns aus – das Leder wird wie ein Überwurf auf eine gebogene Struktur gelegt.

Die neue Lust auf Opulenz

Während exzellentes Handwerk nach wie vor gefragt ist, ist der lange Jahre vorherrschende Mid-Century-Style weitgehend verschwunden. Statt Understatement setzen die Hersteller wieder auf Üppigkeit, grosse Volumina und helle, fröhliche Farben. Die «Tortello»-Kollektion der britischen Designer Edward Barber und Jay Osgerby bei B&B Italia ist von der gleichnamigen Pasta inspiriert. Die runden Formen, die gekerbten Volumina und die knallgelbe Farbe lassen an die Teigtasche aus der Lombardei denken. Opulent ist auch die Polsterserie «Moncloud» von Cassina, für die Designerin Patricia Urquiola grossformatige Kissen in elegante Faltungen legte. Auch das Sofa «Nook», das Markus Jehs und Jürgen Laub für Cor entwickelt haben, wirkt wie ein gemütliches Nest. «Nook» bedeutet auf Deutsch «Schlupfwinkel» – was schon alles über dieses Möbel sagt. In dessen Tiefe kann man aufs Schönste versinken, gehalten vom hohen Rücken, ansteigenden Armlehnen, stützenden Kissen und einem im Inneren verborgenen Lattenrost.

Ganz wulstig gibt sich der «Knitty Lounge Chair», den Nika Zupanc für die holländische Marke Moooi gestaltet hat. Er erinnert an Manschettenknöpfe aus verknoteter Seide. Das Design des Sessels wird durch einen gestrickten Stoff mit gestepptem Rautenmuster, der in 15 Farben erhältlich ist, noch verstärkt. Halb Pouf, halb Sessel: Einem Comic entsprungen scheint der Sessel «Faye» aus der Feder von Mathias Hahn. Die gepolsterte Sitzfläche ergänzt eine zylinderförmige Rückenlehne, die von zwei Holzstreben getragen wird. Bezugsstoff und Gestell fertigt Hersteller Schönbuch ganz nach Wunsch monochrom oder kontrastierend. Als Material ist Bouclé auf dem Vormarsch. Beim österreichischen Hersteller Wittmann beispielsweise schmückt der weiche Bezug die Sessel und Sofas der Serie «Figure». Die Sitzmöbel lassen an einen Haufen gestapelter Steine denken, sind jedoch inspiriert von Josef Hoffmanns Broschen. Designer Luca Nichetto setzte die Idee der bunten Schmucksteine bei den Möglichkeiten der Bezugsgestaltung fort: Die Elemente können auf Wunsch in verschiedenen Farben bezogen werden.

Zickzack-Muster und Pagoden

Neben Unitönen in kräftigen Farben sind auch Muster wieder auf dem Vormarsch. So kleiden sich Philippe Starcks Stühle «Nia» und «Ela» bei Kartell in die bunten Zickzack-Stoffe der Modemarke Missoni. Aber auch für ihre puristischen Möbel bekannte Marken wie e15 zeigen sich derzeit verspielt: Pouf und Sessel aus der bestehenden Serie «SF06 Kerman» überzieht ein chinesisch inspiriertes Muster aus Pagoden und Berglandschaft. Und Luca Nichettos Entwürfe für den italienischen Porzellanhersteller Ginori 1735 ist so spielerisch wie romantisch. «Ich liess mich von meiner Bewunderung für Botticellis Venus leiten, deren Füsse auf einer überdimensionalen Jakobsmuschel ruhen», sagt Luca Nichetto zur muschelförmigen Sitzschale des Sessels. «Die goldene Linie, die alle Teller von Ginori umrandet, wurde zum Metallträger, der die Sitzstrukturen hält.»

Auch Naturmaterialien wie Holz sind weiterhin gefragt. Der Zürcher Designer This Weber liess sich beim zierlichen Stuhl «Bowie» für Very Wood vom Bow Kite, der beim Kitesurfen verwendet wird, anregen. Zwei konkave Schalen umschliessen den Körper wie ein leichter, dünner Panzer und schaffen so eine bequeme und flexible Form, die eine Vielzahl von Sitzpositionen ermöglicht. Beim Hersteller Mattiazzi überzeugt Jasper Morrisons minimalistischer Stuhl«Zampa»: Er besticht durch gebogene Beine und schlichte Formgebung. Aus Stahlblech ist dagegen der Stuhl «Park Chair». Der Entwurf des Berner Designers Moritz Schmid für den Schweizer Traditionshersteller Embru ist geprägt durch die Position der Hinterbeine und deren Bogenform. Dank seiner Reduziertheit und der langen Hinterbeine wirkt der Entwurf fein und leicht.