Ausflugstipp

Honigsüsse Tradition

In Einsiedeln backt Familie Oechslin seit 175 Jahren und bereits in zehnter Generation Lebkuchenspezialitäten – und das nicht nur zu Weihnachten. Wir waren zu Besuch in der ältesten Lebkuchenbäckerei der Schweiz.

von Tamara Lustenberger

Redaktorin, HEV Schweiz

Lebkuchen sind fester Bestandteil des Weihnachtsgebäcks. Die unverkennbare aromatische und süsse Gewürzmischung des Lebkuchens versetzt so manchen Süssigkeiten-Liebhaber in Weihnachtsstimmung. Auch von den vielen Weihnachtsmärkten, die man zur Zeit landauf und landab besuchen kann, sind die Lebkuchen nicht wegzudenken. So auch nicht vom bekannten Einsiedler Weihnachtsmarkt, der jährlich von Ende November bis Anfang Dezember während zehn Tagen auf dem Klosterplatz in Einsiedeln Einheimische wie auch Besucher anlockt. Wer sich in Einsiedeln auskennt, der kauft Lebkuchen bei der Traditionsbäckerei Goldapfel. Diese bietet seit über 160 Jahren ganzjährig Lebkuchenspezialitäten an. Die Geschichte der süssen Backwaren ist eng mit der des Klosters Einsiedeln und der Wallfahrtstradition verbunden. Karl Oechslin, pensionierter Geschäftsführer der Bäckerei Goldapfel und Betreiber des hauseigenen Lebkuchenmuseums, bringt uns die geschichtlichen und religiösen Hintergründe der Einsiedler Lebkuchen näher.

Entstanden durch die Wallfahrtstradition

Seit 1300 werden in Einsiedeln Lebkuchengebäcke hergestellt und an die Pilger verkauft, die auf Wallfahrt das Kloster besuchen. Dass am Standort des Konvents Pilgergebäck aus Honigteig hergestellt wurde, ist kein Zufall. Honig war damals ein Nebenprodukt der Bienenzucht im Kloster. Die Mönche benötigten für die Herstellung von Kerzen hauptsächlich den Bienenwachs, der Honig wurde an die Dorfbewohner verkauft. Die Dorffrauen stellten daraus im Nebenerwerb Gebäck her. Durch die trockene und zuckerreiche Beschaffenheit liess sich das Honiggebäck lange aufbewahren und war so bestens geeignet, um es als Wallfahrtsandenken von den langen Pilgerreisen mit nach Hause zu nehmen. Die Herstellung und der Verkauf des Pilgergebäcks waren ein Privileg, welches das Kloster an die lokalen Krämer vergab. Die sogenannten Krämerordnungen wurden von der Abtei Einsiedeln erlassen, um den Verkauf bestimmter Waren durch die lokalen Krämer – also die Verkäufer – zu regeln.

Eine dieser lokalen Verkäuferinnen war Elisabeth Steinauer-Kälin, eine Vorfahrin der heutigen Goldapfel-Bäcker. Sie stellte ein besonderes Honiggebäck her – den Schafbock. Dieses Gebäck hat die Geschichte der Bäckerei Goldapfel geprägt und ist bis heute das bekannteste Wallfahrtsgebäck Einsiedelns.

Die Faszination des süssen «Schäfli»

Der Schafbock besteht aus einem süssen Honigteig. Anders als beim Lebkuchen werden dem Schafbock-Teig keine Gewürze beigemischt. Wie vieles in Einsiedeln, hat auch der «Schafbock» seine Wurzeln im christlichen Glauben. Das Gebäck stellt ein im Gras liegendes Schaf dar. Das Motiv des liegenden Schafes geht auf das christliche Ritual zurück, an Ostern das erstgeborene männliche Schaf des Jahres als Osterlamm zu opfern. Früher bezeichnete man den Schafbock deshalb auch als «Agnus dei», das Lamm Gottes. In den Krämerordnungen des 18. Jahrhunderts wurde dieses Gebäck einfach «Schäfli» genannt. Und «Schäfli-Leute» hiessen denn auch die Krämer, die es damals verkauften.

Karl Oechslin liegen die Schafböcke besonders am Herzen. «Sie sind mein halbes Leben», wie er sagt. Was fasziniert ihn an den «Schäfli»? Das Teig-Rezept der Schafböcke ist im Grunde genommen einfach und besteht aus wenigen Zutaten. Aber um daraus die bekannte Spezialität zu backen, braucht es Können und Erfahrung. Die Schafböcke müssen mit Sorgfalt produziert werden, damit sie gut schmecken und schön aussehen. «So einfach ist das nicht», betont der pensionierte Bäcker. «Das ist bei vielen vermeintlich einfachen Dingen so: Im Detail erweisen sie sich als schwierig.»

Nach einer lustigen Anekdote über das besondere Gebäck gefragt, erzählt Karl Oechslin schmunzelnd, dass während eines Spanien-Urlaubs die mitgebrachten Schafböcke aufgegessen waren und sein damals etwa dreijähriger Sohn Philipp zu ihm sagte: «Papi, wir müssen Schafböcke einkaufen gehen.»

Heute stellt die Bäckerei Goldapfel an einem durchschnittlichen Produktionstag 95 Kilogramm Teig-Schäfchen her; das sind pro Jahr gut 18 bis 19 Tonnen.

Tradition und Nostalgie als Geschäftsmodell

2018 haben Karl Oechslins Söhne Philipp und Peter die Goldapfel AG übernommen und führen diese seither in zehnter Generation. Und das mit Erfolg, wie Vater Karl stolz betont. Während für viele kleine Läden in Einsiedeln das Überleben immer schwieriger wird, erfreut sich Goldapfel ungebrochener Beliebtheit. Als Karl Oechslin 1979 den Laden von seinen Eltern übernahm, gab es in Einsiedeln noch acht Bäckereien. Davon existiert heute neben Goldapfel nur noch eine.

Was ist das Geheimnis hinter der langen Erfolgsgeschichte von Goldapfel? Ein überschaubares Sortiment bewährter Artikel, die über die Jahre hinweg immer gleich schmecken, sind sich Vater Karl und Peter Oechslin einig. Die Leute wollen Klassiker: Schafböcke, Kräpfli und Biberli sind von jeher die Hauptumsatzträger der Bäckerei. In der Adventszeit kommen Weihnachts-Lebkuchen und Einsiedler Tirggel hinzu. Die Rezepte sind über die Generationen gleich geblieben. Die Kunden wissen das zu schätzen. Deshalb erfreue sich Goldapfel vieler Stammkunden. Viele von ihnen kaufen schon seit Generationen bei Goldapfel ein. «Kunden erzählen mir immer wieder, dass bereits ihre Grosseltern oder Eltern bei uns eingekauft haben und freuen sich darüber, dass alles gleich geblieben ist», erzählt Karl Oechslin.

Neben der treuen Stammkundschaft sind aber auch die vielen Tagestouristen, die nach Einsiedeln kommen, wichtig für das Geschäft. Mit dem Kauf des Ladenlokals am Klosterplatz im Jahr 2016 und dem Umzug von einer Nebenstrasse an den Hauptplatz ist Goldapfel für die Touristen sichtbarer geworden. Viele der Touristen verweilen nur kurz in Einsiedeln, besuchen das Kloster und reisen wieder ab. Sie schlendern nicht auf Entdeckungstour durchs Dorf. Deshalb war der Standort des alten Ladens zu versteckt, um von Besuchern wahrgenommen zu werden.

Trotz aller Tradition haben sich im Lauf der Jahre auch bei Goldapfel hie und da ein paar Dinge verändert. So wurde das altüberlieferte Rezept der Schafböcke durch die Zugabe des Feuchthaltemittels Sorbit verbessert, damit die Gebäckstücke schön weich bleiben und bei der Lagerung nicht hart werden. Der im Teig verarbeitete Honig wird heute nicht mehr von den Mönchen im Kloster Einsiedeln gekauft, sondern aus Mexiko und Guatemala importiert. Preislich und auch mengenmässig kann sich Goldapfel nicht lokal versorgen. Das Mehl hingegen bezieht die Bäckerei nach wie vor bei der Mühle Einsiedeln. In der Produktionsstätte im Industriequartier von Einsiedeln helfen moderne Maschinen, die Backwaren rationeller zu produzieren. Und auf den Lebkuchen findet sich neben dem Abbild des Klosters Einsiedeln und traditionellen Blumen-Motiven neuerdings auch die Kinderbuchfigur Globi.

Zum Schluss fragen wir noch bei Karl und Philipp Oechlin nach, ob sie in der Zeit des Weihnachtstguetzli-Backens einen Tipp für die Hobbybäckerinnen und -bäcker unter unseren Lesenden haben. «Gute, qualitative Grundzutaten verwenden und mit viel Liebe backen», erwidern die beiden schmunzelnd. Das ist wohl auch über all die Generationen hinweg der Grundstein ihres eigenen Erfolges.

 

Schafbock- und Lebkuchenmuseum

Ein wenig versteckt in einem Seitengässchen, am ursprünglichen Standort der Bäckerei, befindet sich an der Kronenstrasse in Einsiedeln der Nostalgieladen Goldapfel mit integriertem Lebkuchenmuseum.
 

Im Museum wird die Geschichte der Einsiedler Spezialitäten erläutert. Daneben sind einige Maschinen aus dem frühen 20. Jahrhundert, Backutensilien und eine beeindruckende Sammlung von Holzmodeln für die Lebkuchenherstellung ausgestellt. Der Laden von 1895 ist mit sämtlichen Einrichtungsgegenständen original erhalten geblieben.
 

Während der Ladenöffnungszeiten ist die Besichtigung des Lebkuchenmuseums kostenlos. Führungen werden für Gruppen von 6 bis max. 20 Personen in der Zeit von Anfang Januar bis Mitte November nach Absprache durchgeführt.

Mehr Infos unter: goldapfel.ch