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Die Natur nach Hause holen

Der Wald ist besonders in der aktuellen Zeit ein Sehnsuchtsort. Da überrascht es nicht, dass wir die Natur vermehrt in die eigenen vier Wände holen – mit duftenden Hölzern und grünen Wohnaccessoires oder Wänden.

von Silvia Schaub

Journalistin

Wer in diesen Tagen durch den Wald streift und tief einatmet, hat sie eingefangen: die Moleküle zum Entspannen. Es riecht nach Moos, Tannennadeln, Pilzen, Harz, Laub, Erde. Ein ganzes Bouquet an Düften präsentiert sich da. Und was macht das mit uns? Wir fühlen uns sogleich leichter, entspannter, ja vielleicht sogar glückselig.

So ist es nur verständlich, dass man sich auch ein Stück Wald in die eigenen vier Wände holen möchte. Schliesslich weiss man mittlerweile um die Wirkung des sogenannten Waldbadens. Seit Anfang der 1980er- Jahre gilt in Japan das Eintauchen in die Waldatmosphäre sogar als anerkannte Heilmethode. Denn Terpene – Moleküle, die von den Bäumen abgesondert werden – sollen unser Immunsystem beeinflussen, Abwehrkräfte gegen Krankheiten aufbauen, Puls und Blutdruck senken und den Stressabbau fördern. Auch aus der Farbenlehre weiss man, dass Grün auf die menschliche Psyche entspannend, beruhigend und erfrischend wirkt. Wir verknüpfen mit dieser Farbe Natur, Gesundheit – und Hoffnung. Das passt gut in unsere Zeit.

Von Weiss über Grau zu Grün

Dominierte beim Wohnen viele Jahre die Farbe Weiss – später durch Grau abgelöst –, geht nun der Trend hin zu Grün. Mit dem Wunsch nach einem Gegenpol zu unserer digitalisierten Welt bekommt die Farbe Grün endlich den Platz, den sie verdient. Farrow&Balls und Little Greene, die beiden englischen Farbenhersteller, sind diesbezüglich Trendsetter und bieten eine beeindruckende Grün-Palette an mit so klingenden Namen wie Tea with Florence, Edith’s Eye oder Cooking Apple Green.

Mit beeinflusst wurde dieser Trend wohl auch von der Tatsache, dass seit ein paar Jahren Zimmerpflanzen wieder sehr beliebt sind. Überall trifft man auf Monsteras, Gummibäume und Elefantenfüsse. Für Ralf Studer, Kursleiter für Farbdesign und Interior Design an der Schweizerischen Textilfachschule, kommt die Nachfrage nach Grün nicht überraschend: «Nachhaltigkeit, Klimawandel, Bio-Sortimente, Urban Gardening, ökologisches Bauen und begrünte Fassaden sind alles Themen, die uns aktuell bewegen und von der Farbe Grün geprägt sind.»

Wer sich nicht gleich mit grünen Wänden umgeben will, versucht es vorerst nur mit einer Wand. Beliebt sind dazu als Alternative auch entweder Tapeten mit Pflanzenmotiven oder aber ganze Wandposter, wie sie zum Beispiel bei Demural.ch oder Betterwalls. ch erhältlich sind. Dort hat man die Wahl zwischen Dutzenden von Wald- und Natursujets.

Auch bei Möbelstücken und Wohnaccessoires gibt es mittlerweile eine grosse Auswahl Modelle, die sich farblich zwischen zartem Pastellgrün, fröhlichem Gelb-Grün, beruhigendem Blau-Grün bis hin zu dramatischem Russischgrün bewegen. Einige Möbelklassiker wie der Freischwinger «S 43» von Thonet oder der Sessel «Bibendum» von Eileen Gray bei ClassiCon sind in Grün erhältlich. Auch Sideboards oder Kleinmöbel haben in Grün ihren grossen Auftritt. Grün lässt sich ideal mit Weiss kombinieren oder mit verwandten Farben wie Gelb oder Blau. Edel wirkt die Kombination mit einem feinen Rosa.

Die Farbe Grün dürfte kein kurzlebiger Trend sein und ist somit eine gute Investition für die eigenen vier Wände. Denn das Thema wird uns laut der niederländischen Trendforscherin Li Edelkoort noch eine Weile beschäftigen – sowohl im Interior-Design-Bereich wie auch in der Mode.

Für die Augen und die Nase

Im Zuge dieser Sehnsucht nach Natur bringen Parfumeure und Kosmetikfirmen zudem Produkte auf den Markt, die uns das Erleben des Waldes ins Haus bringen – zum Beispiel mit Pinien- oder Eukalyptus-Düften oder Entspannungsbädern, die einen Waldspaziergang simulieren, auf dem es nach Kiefer und Tanne riecht. Auch die Arve, die «Königin der Alpen», erlebt einen Aufschwung. Massivholz ist schon länger gut nachgefragt. Was aber beim Entscheid für die Arve oft mitspielt, ist ihr betörender Duft. Die Arve (im Alpenraum auch als Zirbe bekannt) soll laut einer Studie des Joanneum Research in Graz auch für einen besonders guten Schlaf sorgen und die Herzfrequenz reduzieren. Wer den beruhigenden Arvenduft über Nacht einatmet, erspart sich rund eine Stunde Herzarbeit. Der Hauptwirkstoff ist die in Holz, Rinde, Nadeln und Knospen enthaltene Substanz Pinosylvin.

So zieren Betten, Kommoden oder Schränke aus dem alpinen Holz längst nicht nur Ferienwohnungen in den Bergen, sondern haben definitiv den Weg über den Alpenraum hinaus in die Stadt gefunden. «Dieses Holz hat mit den vielen Ästen einen starken Charakter und braucht Platz», betont Ramon Zangger aus Samedan. Der Möbelschreiner hat die Arve schon vor vielen Jahren entdeckt. Mit Platz meint er, dass man ein Arven-Möbel als Solitär einsetzen solle, das nicht von weiteren Möbeln konkurrenziert wird. In seinem Fall kommen die Möbel ganz ohne den üblichen alpenländischen Schnörkel aus. Seine schlichten Schränke verstecken ihre Schönheit manchmal auch im Innern: Der «schatulla», der auch im Archiv des Schweizerischen Landesmuseums steht, mit typischen Engadiner Rosetten; der «recham» mit gelaserten Bündner Kreuzstichmustern.

Zanggers Möbel kommen an, und zwar vor allem bei den Unterländern, die sich damit ein Stück Berg-Sehnsucht in ihre Wohnung stellen wollen. «Die Arve ist ein guter Repräsentant der Alpenwelt, kann aber auch sehr modern interpretiert werden.» So etwa verarbeitet er nicht perfekte Holzabschnitte zu Kommoden namens «vanzet» (romanisch für Resten), deren Oberflächen er mit farbiger Alufolie veredelt.

Die Pinus cembra (lateinisch für Arve) mit den pinselartigen, fünfnadligen Trieben ist ein rares Holz, das in einer Höhe von 1300 bis 2500 Metern über Meer wächst. Die Arvenbäume können zwischen 200 und 400 Jahre alt, manche sogar bis tausend Jahre alt werden. Indem sie Schnee, Blitzeinschlägen oder Stürmen ausgesetzt sind, bekommen sie ihren besonderen Charakter. Oft sind sie richtiggehend zerzaust. «Trotzdem ist es ein absolut tolles Holz, ja ein wahrer Handschmeichler», schwärmt Zangger.