Sicherheit

Barrierefreie Haushaltsgeräte für sehbehinderte Menschen

Die Zahl von Menschen mit Sehbehinderung ist weitaus grösser als bislang vermutet. Sie beläuft sich auf rund 377 000 Personen, die mit einer Sehbehinderung, Blindheit oder Hörsehbehinderung in der Schweiz leben – mehr als 4 Prozent der Gesamtbevölkerung. Für sie gestalten sich alltägliche Arbeiten im Haushalt wie Kochen oder Waschen schwieriger als für sehende Menschen. Clevere Hilfsmittel können aber weiterhelfen.

von Andrea Eschbach

Journalistin, Zürich

Anders als im benachbarten Deutschland sind Wohnungen in der Schweiz bereits mit Haushaltsgeräten wie Backofen, Kühlschrank, Herd und Waschmaschine ausgestattet. Das kann für sehbehinderte Menschen ein Problem darstellen: Denn Dreh- und Druckknöpfe, Kipp- und Schiebeschalter werden immer seltener. Die traditionellen mechanischen Bedienelemente waren mit allen Sinnen wahrnehmbar. Man konnte sie mit Händen und Augen leicht finden, beim Einstellen hörte man sie einrasten, und anhand ihrer Stellung und dank der Beschriftung und Skalen liessen sich Schaltzustände taktil und visuell leicht erkennen. Heute hingegen sind Sensortasten und Touchscreens auf dem Vormarsch. Diese geben bei Betätigung weder haptische noch akustische Rückmeldung und setzen so allein auf den Sehsinn. Mit der Folge, dass immer mehr Geräte der Haushaltselektronik für blinde, seh- und hörsehbehinderte Menschen nicht mehr bedienbar sind.

Technik, die in so elementaren Lebensbereichen wie Wäschepflege, Kommunikation und Nahrungszubereitung eingesetzt wird, behindert also mangels Bedienbarkeit Menschen mit Sehbeeinträchtigung, statt ihnen zu helfen. Das schränkt die Möglichkeiten der selbstständigen Lebensweise unnötigerweise ein. «In der Schweiz leben etwa 56 Prozent der Bevölkerung in Mietwohnungen», erklärt Stephan Mörker, Leiter der Fachstelle Hilfsmittel beim Schweizerischen Zentralverein für das Blindenwesen SZBLIND. «Haushaltsgeräte sind oft nicht auf die Bedürfnisse von blinden, seh-und hörsehbehinderten Menschen ausgerichtet. Für sie sind die Geräte nur schwierig oder gar nicht zu bedienen». 

Haushaltsgeräte nach dem Mehr-Sinnes-Prinzip

Die vom SZBLIND gemeinsam mit dem Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich und dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband eingesetzte Arbeitsgruppe «Barrierefreie Haushaltsgeräte » will hier Abhilfe schaffen. Es gibt durchaus Lösungsansätze wie die Idee des «Design für alle» beziehungsweise der «Technik für alle»: «Die technische Gestaltung von Haushaltsgeräten muss sich künftig konsequent am Mehr-Sinnes-Prinzip orientieren», erklärt Stephan Mörker. «Das bedeutet, dass in der Interaktion mit einem Gerät mindestens zwei der drei Sinne Hören, Sehen und Tasten angesprochen werden müssen.» Ein Beispiel sind Haushaltsgeräte mit Sprachausgaben, die Menüpunkte oder Warnhinweise vorlesen.

Smarthome-Funktionen sollen Bedienbarkeit ergänzen

Einen Lösungsansatz bietet auch das Smarthome oder das «Internet of Things»: Gemeint ist eine Steuerung von Haushaltsgeräten via Smartphone. Aktuell können Haushaltsgeräte durch solche smarten Applikationen primär von unterwegs gesteuert werden. Es fehlt aber häufig an einer Steuerung, wenn man direkt vor dem Haushaltgerät steht. Ein Nachteil von Smarthome und dem Internet of Things ist, dass die Schnittstellen der Geräte geöffnet werden müssen – ein Schritt, den die Hersteller scheuen, weil sie Manipulationen an den Geräten befürchten. «Die Techniken des Smarthome oder Internet of Things sollen eine Bedienbarkeit am Gerät ergänzen», sagt Stephan Mörker.

Einfache Bedienbarkeit

Es reicht aber nicht nur, die Hoffnung allein auf Technologien der Zukunft zu setzen. Der aktuelle Ist-Zustand in der Gerätebedienung mit all seinen Schwierigkeiten und Problematiken muss aufgezeigt werden. Die Arbeitsgruppe verfolgt daher folgende Fernziele: In der Schweiz müssen Haushaltsgeräte für blinde, sehbehinderte und taubblinde Menschen alltagstauglich, einfach und intuitiv bedienbar sein. Ein- und Ausgaben sowie die Nullstellung müssen akustisch oder haptisch überprüfbar sein. Touchscreens und Kochfelder innerhalb eines Herdes müssen taktil erkennbar respektive abgrenzbar sein.

Barrierefreiheit ist auch Informationssache: Hersteller müssen in ihren Katalogen und Prospekten zielgruppenspezifisch über die Zugänglichkeit der Geräte für Menschen mit Einschränkungen informieren. Das Personal in Fachgeschäften muss sensibilisiert und geschult werden. Warentests sollten auch den Aspekt der Barrierefreiheit berücksichtigen.

Sehbehinderte und blinde Menschen müssen jedes Elektrogerät selbstständig in Betrieb und die notwendigen Grundeinstellungen ohne fremde Hilfe vornehmen können.

Bestehende Geräte umrüsten

Derzeit ist die Arbeitsgruppe «Barrierefreie Haushaltsgeräte» daran, für eine stärkere Beachtung der EN-Norm «Design für alle» zu kämpfen. Im Moment hat die EN-Norm lediglich den Charakter einer «technical specification», ist also eine Empfehlung, kein Gesetz. Letzteres würde die Hersteller mehr in Zugzwang bringen. Für die mechanische Anpassung bereits bestehender, nicht-barrierefreier Haushaltsgeräte ist die Arbeitsgruppe mit Firmen wie Miele im Gespräch, um Positionskreuze oder Schablonen anzubringen. Die deutsche Firma Feelware beispielsweise bietet Umrüstkits an, mit denen sich die Barrieren an Haushaltsgeräten beseitigen lassen. Mit den taktilen Markierungen «Feelware Symbols» lassen sich Bedienelemente und Einstellungen eindeutig unterscheiden. Im Umrüst-Kit «Feelware P» zum Beispiel werden taktile Symbole an die originalen Bedienelemente geklebt. Dies bietet sehbehinderten Menschen Sicherheit beim Kochen und Backen. Eine gute Idee, schnell und unproblematisch bestehende Geräte nachzurüsten. 

Ein heikler Punkt sind die Kosten für Anpassungen: Das Bundesamt für Sozialversicherungen BSV und die kantonalen IV-Stellen tun sich schwer, Gelder für individuelle Anpassungen zu sprechen. Im Fall einer notwendigen Neuanschaffung eines Geräts für eine blinde oder sehbehinderte Mieterin entstehen auch Kosten für den Ein- und Ausbau. Im Moment haben Antragssteller kaum eine Chance auf eine Kostengutsprache eines neuen Geräts. Entscheidungen des Eidgenössischen Verwaltungsgerichts stehen aus.

Weitere Infos

Hilfsmittelshop des SZBlind: Über 500 verschiedene Hilfsmittel können blinde, sehbehinderte und hörsehbehinderte Menschen bei der Fachstelle Hilfsmittel des SZBLIND beziehen. Das Angebot reicht von weissen Stöcken über sprechende und tastbare Uhren und Geräte hin zu Sicherheitsmaterial, Spielen, Papeterieartikeln, Kommunikationshilfen wie Telefone und Hörbuchspieler, Hilfen im Haushalt und Leseständern. Die Produkte sind speziell auf die Bedürfnisse blinder, sehbehinderter und hörsehbehinderter Menschen angepasst. Alle Hilfsmittel werden zentral eingekauft oder selbst entwickelt. www.szblind.ch/hilfsmittel